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Ein kleiner Blick in die Ewigkeit
GettyImages/Caiaimage/Tom Merton

Ein kleiner Blick in die Ewigkeit

Dr. Fabian Vogt
Ein Beitrag von Dr. Fabian Vogt, Evangelischer Pfarrer in der Öffentlichkeitsarbeit, Frankfurt
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Zum Foto: Am Totensonntag, auch Ewigkeitssonntag, wird in evangelischen Gottesdiensten oft die Geschichte von den Hochzeitsgästen bedacht. Jesus hat sie erzählt: Matthäusevangelium 25. Autor Fabian Vogt erzählt in den hr1 Sonntagsgedanken von einem Kaffee nach einer Beerdigung. Da gab es Fragen und Diskussionen rund um Lebensperspektiven und Ewigkeit. Die Hochzeitsgeschichte hilft zu erkennen: Worauf kommt es an, auch schon mitten im Leben? 

Manchmal sind Trauer-Kaffees viel heiterer, als man vermuten könnte; also das Zusammensein von Familie und Freunden nach einer Beerdigung. Klar: Viele haben sich lange nicht gesehen – und es gibt einiges zu erzählen. Vom letzten Gespräch mit der Verstorbenen, aber eben auch vom eigenen Leben. Eine entspannte Atmosphäre, manchmal sogar heiter. Hab‘ ich zumindest mehrfach erlebt.

Was ist die beste Zeit des Lebens?

Bei so einer Gelegenheit hat jemand allerdings auch mal gefragt: "Sagt mal, angesichts des Tods unseres Freundes, was denkt ihr eigentlich: Habt ihr die beste Zeit eures Lebens schon hinter euch, seid ihr gerade mittendrin, oder kommt sie erst noch?" Hm! Die beste Zeit meines Lebens? Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Ein Onkel ruft: "Also bei mir ist immer die beste Zeit". "Quatsch", unterbricht ihn seine Freundin: "Denk doch mal an die ersten Monate nach deiner Scheidung. Da ging‘s dir so richtig schlecht.“"

Gute oder miese Zukunftsprognose?

Eine andere Verwandte bemerkt: "Es müssen doch nicht immer beste Zeiten sein. Gerade die schweren Zeiten formen doch die Persönlichkeit." Ihr Begleiter sagt: "Also, wenn ich jetzt ernsthaft erklären würde, dass ich die beste Zeit schon hinter mir habe oder mittendrin bin, dann hätte ich ja eine miese Zukunftsprognose." 

Gefühl, Geld, Entscheidungen

Dann möchte einer wissen: "Woran macht man die beste Zeit seines Lebens denn fest? Am momentanen Gefühl? An den materiellen Sicherheiten? An den gefällten Entscheidungen? Das müssen wir doch erst mal klären." Stimmt. Habe ich die beste Zeit hinter mir, bin ich gerade mittendrin, oder kommt sie erst noch? Interessante Diskussion.

Da kommt noch was Gutes

Sie endete übrigens damit, dass eine Kusine sagte: "Ich möchte vor allem noch etwas erwarten vom Leben. Nicht fertig sein. Darauf vertrauen, dass noch wichtige und bewegende Dinge passieren." Genau um diese Sehnsucht geht es heute, am Ewigkeitssonntag. Da wird in den evangelischen Gottesdiensten der Verstorbenen gedacht. Doch dann wendet sich der Blick nach vorne: Von welcher Perspektive wird unser Leben geprägt? Die Christinnen und Christen waren sich schon früh einig: Wir denken unser Dasein von der Zukunft her. Von der Ewigkeit. Wir erwarten noch was. Was? Das ist das Thema der Sonntagsgedanken.

Was ist Ewigkeit eigentlich?

Der Satiriker Woody Allen hat mal gesagt: "Die Ewigkeit dauert lange. Vor allem gegen Ende." Ja, kann sich ziehen, so eine Ewigkeit. Allerdings geht es am heutigen Ewigkeitssonntag nicht darum, ob und wie wir das Phänomen Ewigkeit irgendwie begreifen können. Funktioniert ja gar nicht. Ein Zeitraum ohne Ende ist für Menschen undenkbar! Also: Was meint Ewigkeit?

Es geht um eine Perspektive fürs Leben - schon jetzt

Wenn Christinnen und Christen von der Ewigkeit und dem ewigen Leben sprechen, dann geht es in erster Linie um eine Lebensperspektive. Was nicht verwundert: In der Antike war der Begriff Ewigkeit nämlich keine Zeiteinheit, sondern die Bezeichnung für Phänomene, die nicht logisch zu Ende gedacht werden können. Mal ein paar Beispiele: Gott. Kann man nicht mit dem Verstand erfassen: Der ist ewig. Das Dasein nach dem Tod. Kann man nicht mit dem Verstand erfassen: Das ist ewig. Die Fülle des Lebens. Kann man nicht mit dem Verstand erfassen: Die ist ewig. Das griechische Wort für Ewigkeit heißt Äon und meint vor allem: Die Fülle des Lebens. Das Allumfassende.

Qualität, nicht Zeit

Deshalb ist Ewigkeit in der Bibel kein Zeitbegriff. Es geht um Qualität. Das Ewige ist nicht nur unendlich, sondern vor allem das grenzenlos Gute. Das Vollkommene. Das, wonach wir alle streben sollten. Das unfassbare Ideal. Mit anderen Worten: das Göttliche!

Anteil am Vollkommenen

Und für einen antiken Menschen war es überhaupt kein Problem, dann auch zu sagen: Wer in irgendeiner Weise Anteil an dieser Fülle hat – weil er sie am eigenen Leib erfährt oder sie gerne erreichen möchte – der hat auch Anteil an der Ewigkeit. Die Christinnen und Christen sind deshalb überzeugt: Wer an Gott, den Ewigen, glaubt, der hat Anteil an der Ewigkeit. Am Vollkommenen. 

Das Ewige im Jetzt

Das bedeutet: Wenn ein Mensch schon zu Lebzeiten zumindest eine Ahnung von der Ewigkeit entwickeln kann, dann beginnt die Ewigkeit nicht erst nach dem Tod. Nein, sie fängt schon hier und jetzt an. Jeder Mensch kann sich auf das Vollkommene, auf die Fülle des Lebens, ausrichten. Mitten im Leben! 

Glaube und Hoffnung

Am Ewigkeitssonntag geht es nicht nur um ein Weiterleben nach dem Tod. Ewigkeit meint auch: Mein Leben jetzt ist geprägt von einer unfassbaren Hoffnung, von etwas Vollkommenen, eben das, was viele "Gott" nennen. Weil jemand, der von einem Glauben an höhere Werte und Ziele erfüllt ist, anders lebt: voller Vorfreude, Erwartung, Offenheit und mit dem Gefühl: Da kommt noch was! Mit Lust, möglichst viel davon schon zu Lebzeiten zumindest mal zu kosten. Und mit Vertrauen, dass es irgendwann so etwas wie eine Vollendung gibt, ein Aufgehen in der Fülle des Lebens, eben in der Ewigkeit.

10 Brautjungfern

Ewigkeit ist eine Lebensperspektive. Ein Ausrichten auf ewige, zeitlos gültige Ideale, an denen man auch schon zu Lebzeiten Anteil haben kann. Jesus hat einmal eine Geschichte erzählt, die verdeutlichen soll, wie das geht, sich auf die Zukunft ausrichten: die Geschichte von den 10 Brautjungfern (Matthäusevangelium 25, 1-13) – die am heutigen Ewigkeitssonntag immer erzählt wird. Und die geht so:

Die Sache mit dem Himmelreich kann man mit 10 Brautjungfern vergleichen, die jede eine Lampe hatten und nach Einbruch der Dunkelheit den Bräutigam festlich empfangen wollten. Fünf dieser Brautjungfern waren töricht, fünf waren klug. Denn die Klugen nahmen zu ihren Öl-Lampen jeweils noch einen Krug mit Ersatz-Öl mit. 

Kein Öl mehr da

Es kam, wie es kommen musste: Der Bräutigam verspätete sich so sehr, dass alle Brautjungfern einschliefen. Bis mitten in der Nacht plötzlich jemand rief: Der Bräutigam ist da! Da stellten die törichten Brautjungfern fest, dass ihre Lampen inzwischen abgebrannt waren. Sie sagten zu den klugen Brautjungfern: Gebt uns was von eurem Öl ab. Doch die erwiderten: Das geht nicht. Dann reicht es weder für uns noch für euch. Läuft zum Händler und besorgt euch eigenes Öl.

Ein großes Hochzeitsfest

Und die klugen Frauen hießen den Bräutigam willkommen, liefen mit ihm in den Hochzeitssaal und feierten mit ihm ein großes Fest. Als die anderen fünf dann später noch hineinwollten, war die Tür schon verschlossen.

Wer zu spät kommt

Ziemlich krasse Geschichte. Die biblische Variante von Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Und natürlich könnte man fragen: Hätte der Bräutigam die törichten Brautjungfern nicht doch noch dazu bitten können? Vielleicht tut er’s ja noch. Aber es ist eine beispielhafte Erzählung, die etwas deutlich machen will. Deshalb ergänzt Jesus am Ende: Seid wachsam!

Seid wachsam, seid achtsam

Seid wachsam! Heute sagt man gerne: Seid achtsam! Gemeint ist das, was die Frau beim Kaffee nach der Beerdigung gesagt hat: Ich möchte noch etwas erwarten vom Leben. Nicht fertig sein. Darauf vertrauen, dass noch wichtige und bewegende Dinge passieren.

Chancen ergreifen

Denn wer noch etwas erwartet, wer eine tiefe Sehnsucht hat, der wird mit offenen Augen durchs Leben gehen, der wird wachsam schauen, ob und wo sich im Alltag Türen für neue Erfahrungen öffnen, und der wird die Chancen ergreifen, die sich bieten – weil er oder sie innerlich darauf vorbereitet ist. Man könnte auch sagen: Die törichten Brautjungfern stehen für Menschen, die wichtige Chancen vorüberziehen lassen, die klugen Brautjungfern für die, die den Chancen des Lebens erwartungsvoll entgegengehen. Das Öl in der Geschichte steht für die Haltung: Ich erwarte noch was vom Leben.

Die Fülle des Lebens jetzt kosten und dann darauf hoffen

Das Gleichnis von den 10 Brautjungfern war Jahrhunderte lang eine der beliebtesten Geschichten überhaupt. Oft mit der Zuspitzung, dass der Mensch sich anständig auf das Jenseits vorbereiten soll. Aber nicht nur. Jesus selbst sagt ja deutlich: Das Himmelreich ist schon mitten unter euch (Lukasevangelium 17, 21). Ich verstehe das so: Sei jetzt achtsam für die Fülle des Lebens. Gegenüber dem Ewigen, das wir zwar nicht in Worte fassen können, das sich immer wieder erfahren lässt. 
Das alles schwingt in dem verrückten Wörtchen „Ewigkeit“ mit. Die Kunst, von der Zukunft her zu denken. Und noch etwas zu erwarten. Vielleicht sogar die beste Zeit des Lebens.
 

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