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Teilen wie St. Martin
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Teilen wie St. Martin

Christoph Hartmann
Ein Beitrag von Christoph Hartmann, Lehrer und Referent für katholische Schulpastoral
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Vor einigen Tagen brechen unsere Kinder wie jeden Morgen zur Bushaltestelle auf. Kurz darauf bemerke ich, dass es anfängt, wie aus Eimern zu regnen. Da sage ich zu meiner Frau: Hoffentlich kommen die Kinder noch trockenen Fußes in den Bus!

Als ich dannzur dritten Stunde in die Schule komme, begegnet mir eine Schülerin, die den Regenschauer voll abbekommen hat. Sie berichtet mir, dass sie in den ersten beiden Stunden noch eine Klassenarbeit mitgeschrieben habe und jetzt auf dem Heimweg sei. Sie wolle sich endlich trockene Kleider holen. Es ist ihr förmlich anzusehen, dass sie sich in ihren nassen Kleidern unwohl fühlt. Das unterstreicht sie dann mit der Bemerkung, dass es ihr inzwischen auch sehr kalt sei. In diesem Moment schießt mir der Gedanke durch den Kopf: Was kann ich ihr nur Gutes tun? Das Auto ist schnell abgescannt. Keine Decke, keine Pullis oder irgendetwas, was sonst noch so im Auto rumliegen könnte. Doch dann ein Geistesblitz. Die Jacke, die ich trage, besteht aus zwei Jacken. Das kennen sie sicherlich. Eine Innen- und eine Außenjacke. Kurzerhand trenne ich beide Jacken voneinander und gebe ihr die eine Jacke. Auf diese Weise kann sie wenigstens ihre nasse Jacke mit der trockenen tauschen und sich auf den Heimweg machen.

Teilen wie St. Martin

Vielleicht ahnen Sie schon, was jetzt kommt! Als Religionslehrer muss ich bei dieser Begegnung unweigerlich an ein Fest denken, das erst am vergangenen Freitag gefeiert wurde. Es ist das Fest: St. Martin.

Viele haben sicherlich schon von ihm gehört. Martin, ein junger Mann, der in Ungarn als Sohn eines römischen Offiziers geboren wird. Er tritt in die Fußstapfen seines Vaters und wird selbst Soldat im römischen Heer. Die Geschichtsschreibung notiert, dass er in der kaiserlichen Leibgarde seinen Dienst versieht.

Martin kommt in dieser Zeit mit dem Christentum in Berührung und findet Gefallen an der guten Botschaft Jesu Christi. Schließlich will er sich taufen lassen. In die Vorbereitungszeit auf seine Taufe fällt wohl die bekannteste Erzählung über Martin.

Den Mantel geteilt

Dort heißt es: Eines Tages reitet Martin auf seinem Ross durch die Straßen. Es ist sehr kalt und sein Blick fällt auf einen armen Bettler. Ihm ist anzusehen, dass er friert. Der Bettler ruft um Hilfe, doch niemand nimmt sich seiner an. Martin verspürt innerlich den Drang, diesem armen Mann zu helfen. Weil er nichts außer seinem Militärmantel bei sich hat, greift er sein Schwert, teilt den Mantel und gibt die eine Hälfte dem Bettler. In der darauffolgenden Nacht erscheint Jesus, bekleidet mit Martins Mantel, Martin im Traum und spricht zu ihm: Das, was du dem Bettler getan hast, das hast du mir getan!

Diese Erfahrung bringt Martin schließlich dazu, seinen Dienst im römischen Heer zu quittieren. Für ihn passen Kriegsdienst und Christ sein nicht zusammen. All das geschah um das Jahr 334.

Beliebtes Vorbild

Martin wird eines der bekanntesten und beliebtesten Vorbilder über das Mittelalter hinaus. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass es allein in Frankreich über 3600 Kirchen gegeben hat, die seinen Namen trugen. Heute noch begegnet uns der Hl. Martin auch im Bistum Fulda als Kirchenpatron z. B. in Bad Orb, oder als Pfarrpatron der neu gegründeten Kirchengemeinde im Fuldaer Westen. Darüber hinaus künden die vielen Bräuche rund um das Martinsfest von seiner großen Beliebtheit.

Musik

Mit dem Martinsfest am 11. November verbinde ich zahlreiche Erinnerungen. Diese sind vor allem aus der Kindergartenzeit meiner Kinder. Schon Tage vorher bereiten sie sich auf das Fest vor. Sie basteln Laternen, proben Theaterstücke und hören viel vom Hl. Martin. Am Tag selbst ist es dann immer schön! Schließlich ist der Laternenumzug der Höhepunkt des Festes.

All das bereitet mir große Freude: Das Lichtermeer mit den bunt gebastelten Laternen, die vielen Lieder, die mal mit und mal ohne Begleitung gesungen werden. St. Martin hoch zu Ross darf da natürlich auch nicht fehlen! Ganz wichtig, die gesellige Zeit nach dem Umzug mit warmen Getränken und Würstchen im Kindergarten. Das sind Momente, an die ich gerne zurückdenke.

Nachdem meine Kinder inzwischen alle aus dem Kindergartenalter herausgewachsen sind, ist auch der Hl. Martin immer mehr aus dem Blick geraten. Ich muss feststellen, dass selbst in den Lehrplänen der weiterführenden Schulen vom Hl. Martin weit und breit nichts mehr zu sehen ist. Diese Feststellung stimmt mich nachdenklich. Ist doch die Botschaft des Hl. Martin nicht nur für die Kindergartenzeit!

Martin der Sucher, Martin der Teiler

Woran ich das festmache? Dazu zwei Gedanken:

Martin ist der große Sucher. Seine Suche nach Sinn und Lebensaufgabe führen ihn zuerst zum Militär. Dort findet er jedoch nicht das, was seine innerste Sehnsucht stillt. Wie ich bereits erwähnte, wird er schließlich Christ und verlässt aufgrund seiner neu gewonnenen Überzeugung das römische Militär. Martin zieht sich zurück, wird Mönch und gründet ein Kloster. Klöster sind die Orte, wo wir die klassischen Sucher schlechthin finden! Es sind die Mönche, die nach dem wahren Leben - eben nach Gott suchen! So findet Martin in der christlichen Botschaft Sinn und Orientierung. Der Glaube an Jesus Christus hilft ihm, seinen Lebenssinn zu finden und nicht an der Welt zu verzweifeln.

Auch wenn ich kein Mönch bin, bin ich doch ein Suchender. Auf der Suche nach Werten, die tragen. Nach echten Vorbildern, die in diesen oft wirren Zeiten Orientierung geben. Martin macht mir dabei Mut, nicht müde zu werden, nach dem wahren Leben Ausschau zu halten. Ganz in der Hoffnung: Wer suchet, der findet. 

Ein zweiter Gedanke, warum Martin über die Kindergartenzeit hinausragt: Es ist das Teilen. Trotz der Verankerung des Martinsfests im Kindergarten, eines wissen selbst Jugendliche auch Jahre später noch. Auf die Frage, was denn das Besondere am Hl. Martin ist, antworten meine Schüler: Dass ist doch der, der seinen Mantel geteilt hat! Nicht wahr? Genau - so ist es! Martin ist das große Vorbild, wenn es um das Teilen geht. Und dieser Gedanke des Teilens darf natürlich auch beim Anspiel zum Martinsfest im Kindergarten nicht fehlen. Dort heißt der finale Kernsatz: Wenn alle teilen, werden alle satt!

Diese beiden Gedanken: Suchen und teilen, machen Martin für mich auch über die Kindergartenzeit hinaus interessant und wichtig. Ganz besonders das Teilen, das wissen wir alle, macht eben nicht nur Kinder froh!

Musik

Martins Markenzeichen ist das Heilen. Er sieht die Not seiner Mitmenschen und handelt. Durch sein vorbildliches Tun trägt er dazu bei, dass die Welt ein wenig heller und heiler wird. Daher sind nicht nur gläubige Menschen davon überzeugt, dass Martin für uns alle ein Vorbild sein kann. Katholiken nennen solche Vorbilder auch gerne Heilige!

Denn sie leben das - in Wort und Tat - was von Jesus in der Bibel zu lesen ist. Dort heißt es im Matthäusevangelium: "Alles, was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." Hier blitzt erneut Martins Traum auf! Mit diesen Worten unterstreicht Jesus die Würde eines jeden Menschen. Wir begegnen in unserem Nächsten Gott! Von daher sollen wir den anderen groß sehen. Ihn als das sehen, was er ist: Kind Gottes!

Teilen wie Martin – auch heute

Diese Botschaft versteht der Hl. Martin und setzt sie in seinem Handeln um. Ich bin froh, dass er auf diese Weise auch heute noch für viele Menschen Inspiration und Vorbild ist.

Diese vielen Menschen sind die Priester und Ordensschwestern in der Ukraine, die gerade Kleidung, Essen und das Nötigste an die Not leidenden Menschen verteilen. Oder die Missionarinnen der Nächstenliebe, die vielleicht eher als die Schwestern der Mutter Teresa bekannt sind. Sie wenden sich aus einer tiefen Christusbeziehung den Notleidenden zu. Für mich war es sehr beeindruckend, als ich vor vielen Jahren mit Firmlingen in Hamburg dies ganz konkret in deren Suppenküche erleben konnte. 

Auch in Deutschland wohl bekannt ist der Orden der Franziskaner. Auch sie stellen sich mit ihrem Tun an die Seite der Armen: tagein, tagaus.

All dieses Engagement hat ein Ziel: den Notleidenden zu helfen. Sie teilen ihr Leben, ihre Zeit und das, was sie haben mit anderen. 

Erinnern Sie sich noch an die eingangs erwähnte Jacke für die Schülerin? Auch wenn es nicht immer die Jacke sein kann, die ich teile, bleibt doch eins für mich ganz klar: Die Botschaft, die vom Hl. Martin ausgeht, war, ist und bleibt immer aktuell. Nicht nur für die Kleinen, sondern auch für die Großen.

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