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Spurensuche im Herbst
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Spurensuche im Herbst

Anke Jarzina
Ein Beitrag von Anke Jarzina, Katholische Pastoralreferentin in der Pfarrei St. Peter und Paul in Wiesbaden
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Ach, Herbst! Ich liebe es, bei diesem Wetter draußen unterwegs zu sein - und vor allem im Wald. Nicht nur die herrlich frische Luft finde ich dort gerade fantastisch, sondern auch das, was ich rundherum sehe: endlich wieder frisches Grün nach diesem trockenen Sommer. Rot und gelb gefärbte Blätter an den Bäumen. Und zu meinen Füßen finde ich nicht nur Laub und feuchte Erde, sondern hier und da kann ich Spuren im Matsch entdecken: von Fahrrädern, Fußgängern und Hunden - aber auch von anderen Tieren, die ich meistens gar nicht direkt zu Gesicht bekomme, von Wildschweinen oder Rehen.

Spuren entdecken und verfolgen

Das finde ich besonders spannend: Spuren entdecken und ihnen nachgehen. Ich schaue dann gerne, wo sie mich hinführen, und denke mich ein bisschen hinein in das Tier, das Urheber der Spuren war. Manchmal komme ich mir dann vor wie eine Kommissarin im „Tatort“, auch wenn die Spuren im Wald nicht auf ein Verbrechen hinweisen. Aber hier wie dort geht es um bestimmte Zeichen oder Abdrücke, aus denen ich Rückschlüsse ziehen kann. Im Krimi würde ich DNA oder Fingerabdrücke finden und dadurch meinen „Täter“ ermitteln. Bei den Tierspuren ist das nicht ganz so eindeutig. Aber: In der Jägersprache spricht man immerhin von „Trittsiegeln“. Da schwingt mit, wie einzigartig die Abdrücke oder Hinterlassenschaften der Tiere sind: Spuren führen mich meistens direkt zu ihrem Urheber.

Wir alle hinterlassen unwillkürlich Spuren

Spurensuche ist spannend, ob im Wald oder beim „Tatort“. Tatsache ist: Nicht nur Tiere und Verbrecher hinterlassen unwillkürlich Spuren, sondern wir alle tun es, oft ohne es zu bemerken. Als Mensch verliere ich Hautschuppen und Haare, hinterlasse Fingerabdrücke. Auch die „Duftmarken“ sind nicht zu unterschätzen: Ganz klar kann ich manche Leute „gut riechen“, andere „stinken“ mir jedoch gewaltig. Den anderen geht es mit mir genauso. Immer und überall hinterlasse ich meine Spuren, ob ich will oder nicht. Viele bleiben unbemerkt, aber längst nicht alle.

Welche Spuren hinterlasse ich eigentlich tagtäglich?

Eine Spur ist laut Wörterbuch eine „Aufeinanderfolge von Abdrücken oder Eindrücken, die jemand oder etwas bei der Fortbewegung im Boden hinterlassen hat.“ Ich frage mich: Welche Spuren hinterlasse ich eigentlich tagtäglich? Als erstes fällt mir mein Bett ein, das nach dem Aufstehen morgens ganz zerwühlt aussieht und oft noch kuschelig warm ist. Diese Spur sagt: Hier hat jemand geschlafen. Anschließend im Bad versuche ich natürlich, möglichst wenige Spuren zu hinterlassen - aber der Wasserzähler im Keller verfolgt sie trotzdem unbarmherzig: Ich verbrauche Wasser - und zwar ganz schön viel. Wenn ich die Toilettenspülung drücke, dusche, Zähne putze. Das ist gar keine kleine Spur, auch wenn sie mir nicht immer bewusst ist.

Auch emotionale Äußerungen hinterlassen Spuren

Beim Frühstück in der Küche haben dann meistens schon die Kinder ihre Spuren hinterlassen: Brotkrümel und Marmelade auf dem Tisch - und das gebrauchte Geschirr ist auch nicht in der Spülmaschine. Manchmal ärgert mich das und ich schimpfe: „Könnt ihr nicht mal Eure Sachen wegräumen?“ - und schon habe ich wieder eine Spur hinterlassen, nämlich eine emotionale. Meinen Kindern habe ich meinen Ärger aufgedrückt. Ob er jetzt berechtigt war oder nicht, sei einmal dahin gestellt. Tatsache ist: Die Kinder wissen jetzt: Mama ist sauer. Und spätestens an dieser Stelle frage ich mich: Ist das eine Spur, wie ich sie hinterlassen will?

Welchen Vers möchte ich zum Gedicht des Lebens beitragen?

Eines meiner Lieblingsgedichte wird in dem Film „Club der toten Dichter“ zitiert. Es stammt von dem amerikanischen Dichter Walt Whitman, der im 19. Jahrhundert gelebt hat. Darin heißt es:

„Ich und mein Leben, die immer wiederkehrenden Fragen, der endlose Zug der Ungläubigen, die Städte voller Narren. Wozu bin ich da? Wozu nützt dieses Leben? Die Antwort: Damit du hier bist. Damit das Leben nicht zu Ende geht, und deine Individualität. Damit das Spiel der Mächte weiter besteht und du deinen Vers dazu beitragen kannst.“

Genau das frage ich mich heute: Welchen Vers möchte ich denn beitragen? Welche Spur möchte ich hinterlassen?

Ich habe nicht alle meine Spuren im Griff

Nicht alle meine Spuren habe ich im Griff, viele hinterlasse ich unwillkürlich: DNA und Fingerabdrücke zum Beispiel. Über mein äußeres Erscheinungsbild und meinen Körpergeruch habe ich auch bloß eingeschränkte Kontrolle: Auch penible Körperhygiene kann meinen ureigenen Geruch nicht überdecken - und der hinterlässt nun mal subtile, unbewusste Eindrücke bei den Menschen, denen ich begegne. Ebenso die Art, wie ich gehe, auftrete, spreche. Meine Körpersprache kann unglaublich viel über mich verraten. Es gibt Spezialisten, die diese Form der Spurensuche perfektioniert haben. Sie können nonverbale Äußerungen meines Körpers ganz bewusst registrieren, zum Beispiel ein winziges Zucken meines Mundwinkels. Daraus schließen sie dann auf innere Regungen. Wenn die Tatort-Kommissare ermitteln, tun sie das manchmal auch in dieser Form. Dann verrät ein bestimmter Blick des vermeintlichen Täters, ob er im Verhör lügt oder die Wahrheit sagt. - Ich hinterlasse Spuren in meinem Leben, ob ich will oder nicht.

Viele Spuren kann ich aktiv beeinflussen

Viele Spuren in meinem alltäglichen Leben hinterlasse ich unwillkürlich: Fingerabdrücke und DNA oder große Teile meiner Körpersprache. Es gibt aber auch Spuren, die ich wortwörtlich in der Hand habe. Ich kann zum Beispiel entscheiden, ob ich meinen Müll im Wald liegen lasse oder wieder mit nach Hause nehme und richtig entsorge. Ich kann auch entscheiden, wieviel Wasser ich tatsächlich am Tag verbrauche: Muss das Duschen wirklich sein oder tut`s nicht auch mal eine Katzenwäsche?

Wie groß ist eigentlich mein ökologischer Fußabdruck?

Die Spur, um die es hier geht, nennt sich auch der „ökologische Fußabdruck“. Auch da handelt es sich um eine ganze „Aufeinanderfolge von Abdrücken“, wie bei der Spur im Wald. Zu denen gehören zum Beispiel mein produzierter Müll, mein Wasserverbrauch und vieles mehr, was ungünstig ist für die Umwelt. Wie groß mein ökologischer Fußabdruck tatsächlich ist, kann ich sogar im Internet berechnen lassen (z.B. unter www.Fußabdruck.de). Eben habe ich das mal wieder ausprobiert und bin erschrocken darüber, wie groß er ist, obwohl ich mir eigentlich Mühe gebe, ihn klein zu halten.

Ich will und darf auch große Spuren hinterlassen

Aber es gibt auch Spuren von mir, die sollen groß sein - und dafür kann ich etwas tun. Zum Beispiel will ich große Spuren der Liebe bei meinen Kindern hinterlassen – ich will ihnen Geborgenheit schenken und liebevoll mit ihnen umgehen. Deshalb nehme ich mir vor, beim nächsten Mal, wenn ich mich über sie ärgere, anders zu reagieren: kurz innehalten und durchatmen. Sie nicht im Affekt anpampen. Sondern: Sie in Ruhe und mit Humor auf das Chaos auf dem Küchentisch aufmerksam machen.

Den Spuren guter Vorbilder versuche ich zu folgen

Ja, ich würde gerne eine Spur hinterlassen, die auch fremden Menschen zeigt: „Das hier ist ein offener, freundlicher und lebensfroher Mensch!“ Wie ich das mache? Ich halte nach den Spuren anderer offener, freundlicher und lebensfroher Menschen Ausschau und versuche, ihnen zu folgen, mich ein bisschen in sie hinein zu versetzen - und meinen eigenen Weg ihrer Spur anzunähern.

Jesus von Nazareth hat uns starke Zeichen hinterlassen

Es gibt und gab viele solcher Menschen auf der Welt mit einer tollen Fußspur, auch in meinem Bekanntenkreis. Aber es gibt da auch einen, den fast jeder kennt und von dem ich immer wieder tief beeindruckt bin, vor allem auch von den starken Zeichen, die er hinterlassen hat: Jesus von Nazareth. Seine Spuren kann ich vor allem in der Bibel entdecken. Ich finde es immer wieder inspirierend, wie liebevoll und auf gewisse Weise heilend Jesus sich gerade den Menschen zugewandt hat, die ausgestoßen und ausgegrenzt, verzweifelt oder von Schuldgefühlen zerfressen waren.

Jesu Spuren in der Bibel suchen

Im Gedicht von Walt Whitman heißt es: Ich selbst trage meinen Vers, meine Spur zum Spiel der Mächte bei. Ich bin mittlerweile davon überzeugt: Die Spur, die ich im Leben hinterlassen und die ich beitragen will, soll der von Jesus ähnlich sein. Dafür begebe ich mich immer wieder auf Spurensuche - zum Beispiel in der Bibel - und versuche immer besser zu verstehen, wer dieser Jesus eigentlich war und wie genau sein „Trittsiegel“, seine Spur, aussieht. Ob meine Spuren seinen wirklich ähneln, weiß ich nicht. Wenn überhaupt, können das nur diejenigen beurteilen, die irgendwann einmal auf meine Spuren zurückschauen werden. Jetzt und heute kann ich nur eins tun: Die guten Abdrücke, Zeichen und Spuren in meinem Leben verstärken. „Vermehrt Gutes!“ sollen schon die alten Griechen gesagt haben.

Die guten Abdrücke, Zeichen und Spuren in meinem Leben verstärken

Also geh ich jetzt hinaus in diesen Sonntag und werde genau das versuchen: Ich spare das Wasser, ich spaße mit den Kindern und ich rufe nachher mal eine alte Freundin an, die es gerade nicht leicht hat. Ich will gute Spuren hinterlassen – im Wald und in der Schöpfung, im Leben und Lieben.

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