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Rod Stewart: Moon River
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Rod Stewart: Moon River

Ksenija Auksutat
Ein Beitrag von Ksenija Auksutat, Evangelische Pfarrerin, Stockstadt
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Jede Weltgegend hat ihren großen Fluss. Der Ganges in Indien. Der Nil in Ägypten, der Mississippi in Nord- und der Amazonas in Südamerika. Ich lebe in Stockstadt am Rhein, einem Ort, der vom Wasser dieses Flusses geprägt wurde. Der Rhein ist darum für mich, aber natürlich auch für unser Land ein wichtiger großer Fluss.

Der Rhein - ein wichtiger Fluss

Viele Radwege begleiten den Rhein an seinen Ufern. Wenn es mich raus in die Natur zieht, radel ich oft dort entlang. Große Pappeln stehen am Ufer. Steinwälle wurden angelegt, um den Lauf des Wassers zu verlangsamen. Sie bilden Buchten, die zum Verweilen einladen. Ich halte an. Die Böschung senkt sich zum Fluss hinab. Weiden wachsen hier und werfen Schatten. Über Steine, Wurzeln und Erde erreiche ich den Kies. Hier am Ufer bin ich gern. Ich setze mich auf einen gestrandeten Baumstamm.

Im Sommer strömt das Wasser ruhig vor sich hin

Mein Blick gleitet über das Wasser. Jetzt im Sommer strömt es ruhig vor sich hin, vor allem in der tiefen Fahrrinne. Das dunkle Wasser zieht unaufhörlich an meinen Augen vorbei. Mir kommt ein Musiktitel in den Sinn: Moon River.

Moon river, wider than a mile
I′m crossing you in style some day
Oh, dream maker, you heart breaker
Wherever you're goin′, I'm goin' your way

Moon River, breiter als eine Meile.
Eines Tages werde ich dich überqueren.
Alter Traumschöpfer, du Herzensbrecher.
Wohin immer du fließt, ich werde dir folgen.

Viele haben diesen Song schon interpretiert, hier haben wir Rod Stewart gehört. Ursprünglich hat Audrey Hepburn „Moon River“ gesungen, in ihrem berühmten Film „Frühstück bei Tiffany“, der 1961 in die Kinos kam.

Hier am Rhein kann ich mir das silbrige Licht des Mondes auf diesem breit dahinfließenden Moon River vorstellen. Mehr als eine Meile breit strömt der Fluss, heißt es im Song.

Das Wasser des Rheins verbindet Kulturen, trennt aber auch Menschen

Ich schaue auf den Rhein vor meinen Augen. Unaufhörlich fließt das Wasser an mir vorbei. Es kommt von weit, und es hat noch einen langen Weg vor sich, bis der Fluss bei Rotterdam in die Nordsee mündet. Er durchströmt Landschaften und verbindet Kulturen.

Aber ein Fluss ist immer auch eine Grenze. Das Wasser durchschneidet die Landschaft und trennt die Menschen, die an beiden Seiten leben. Schon immer haben sie versucht, den Strom zu durchqueren. Zu überbrücken, was trennt.

Eines Tages ans andere Ufer gelangen

Der Fluss ist ein Sinnbild, davon singt auch das Lied vom Moon River: „Ich werde dich überqueren eines Tages.“ Die träumerische Melodie weckt die Sehnsucht. Eines Tages, da werde ich ans andere Ufer gelangen. In der stillen Stunde der Nacht, von der dieser Song wohl inspiriert ist, bleibt offen, wie das gehen soll. Oder was an der anderen Flussseite denn warten wird.

Ich spüre darin etwas von den ganz alten Erfahrungen der Menschen. Wann immer sie ihren angestammten Lebensort verlassen wollten oder mussten, stellte die Überquerung eines großen Flusses so etwas wie einen ultimativen Schritt dar. Denn die Strömung ist gefährlich. Es gilt, alle Menschen und die Habseligkeiten unversehrt über das Wasser zu bringen.

Die Überquerung eines großen Flusses ist ein Hoffnungsbild

In der Bibel ging Jakob mit Familie und Besitz über den Fluss Jabbok. Viele Menschen waren es, große Viehherden. Jakob wollte sich mit seinem Bruder Esau aussöhnen und machte sich darum auf diesen nicht ungefährlichen Weg. In späterer Zeit in der Bibel war es das Volk Gottes. Es überquerte den Jordan, um ins gelobte Land zu kommen. Bis heute ist die Überquerung des Wassers darum auch ein Hoffnungsbild. Da drüben, auf der anderen Seite des Flusses wartet hoffentlich ein besseres Leben.

Der träumerische Gedanke im Song „Moon River“ ist nicht so konkret. Er hat eher eine unbestimmte Sehnsucht in sich. „Oh dream maker, you heart breaker“, singt er. „Alter Traumschöpfer, du Herzensbrecher, wohin immer du fließt, ich werde dir folgen.“

Oh dream maker, you heart breaker
Wherever you're goin′, I'm goin' your way
Two drifters, off to see the world
There′s such a lot of world to see…

Alter Traumschöpfer, du Herzensbrecher.
Wohin immer du fließt, ich werde dir folgen.
Zwei Ziellose, die aufgebrochen sind, um die Welt zu sehen,
es gibt so viel Welt zu entdecken.

Panta rhei - alles fließt

Der Fluss ist nicht nur eine nasse Grenze, die zwei Orte oder zwei Menschen voneinander trennt. Er ist auch ein Bild für die Bewegung, für ein Fortkommen. Der griechische Philosoph Heraklit sagt: „Niemand kann zweimal in denselben Fluss steigen, denn alles fließt und nichts bleibt.“ Er erkannte: Alles verändert sich, nichts bleibt, wie es ist. Alles fließt. Auf Griechisch: Panta rhei.

Im Song kommt eine zweite Person in den Blick, ein Wegbegleiter sozusagen. Am Ufer des Moon River sind es „zwei Ziellose, die aufgebrochen sind, um die Welt zu sehen, es gibt so viel Welt zu entdecken“.

Auch hier am Ufer des Rheins sehe ich: Alles fließt, panta rhei. Gerade kommt ein Frachter angetuckert. Mit seinem Motor ist er flussabwärts unterwegs. Eine Schweizer Flagge zeigt, dass er vielleicht aus Basel kommt. Jedes Schiff hier erzählt von Häfen, vom Meer, von anderen Gestaden.

Aber von solchen ganz weltlichen Zielen wird am Ufer des Moon River nicht geträumt.  Da wartet am Ende ganz poetisch der Regenbogen, der sich zum Fluss hinunter beugt.

We′re after the same rainbow's end
Waitin′ 'round the bend
My huckleberry friend
Moon river and me

„Wir suchen das Ende des Regenbogens,
das gleich hinter der nächsten Biegung auf uns wartet,
mein Heidelbeeren-Freund,
Moon River und ich.“

Die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn

Das englische Wort für Heidelbeeren, Huckleberries, erinnert an Huckleberry Finn. Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain hat 1884 die Geschichten von Huckleberry Finn und seinem Freund Tom Sawyer am Ufer des Mississippi veröffentlicht. Generationen von Kindern waren gemeinsam mit ihnen in dieser Welt voller Abenteuer unterwegs. Mark Twain hatte ein reales Kind vor Augen, einen Jungen aus seiner Kindheit: Er war „unwissend, ungewaschen und unzureichend ernährt“, aber, so Mark Twain, „er hatte ein so gutes Herz wie nur irgendjemand. Und seine Freiheit war schrankenlos.“ In der Geschichte erlebt Huckleberry Finn nicht nur Pfadfinder-mäßige Abenteuer. Er trifft Jim, einen entlaufenen Sklaven. Er bekommt es mit Betrügern zu tun. Er begegnet bewaffneten Bürger, die das Recht mit ihren Gewehren selbst in die Hand nehmen und schlimmes Leid anrichten.

Das Ende des Regenbogens hinter der nächsten Flussbiegung

My huckleberry friend… Mein Heidelbeeren-Freund, wir suchen das Ende vom Regenbogen. Das Bild vom Regenbogen passt zur Geschichte des Huckleberry Finn. Der Regenbogen ist in der Bibel das Zeichen: Gott bewahrt die Welt. Am Ende des Romans ist der ehemalige Sklave Jim frei, und Huckleberry Finn wendet sich von den Städten ab. Er findet bei den Indianern eine neue Heimat und Lebensweise.

Der Moon River strömt und nimmt die Sehnsucht mit. Die Sehnsucht nach Freiheit und einem guten Ende. Wenn ich draußen in der Natur, hier am Ufer des Rheins sitze, dann brauche ich keine Fähre, die mich auf die andere Seite bringt, und auch kein Schiff, das mich mitnimmt. Ich bleibe unterwegs mit der Hoffnung, dass ich nicht allein reise, dass es Huckleberry Friends, Heidelbeeren-Freunde an meiner Seite gibt. Und ich hoffe, dass Gottes Regenbogen gleich hinter der nächsten Biegung wartet und sich irgendwann auch über das Ende meiner Reise spannt.

We′re after the same rainbow's end
Waitin′ 'round the bend
My huckleberry friend
Moon river and me

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