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Elen: Raus hier
Bild: Pixabay/butterfd

Elen: Raus hier

Tanja Griesel
Ein Beitrag von Tanja Griesel, Evangelische Pfarrerin, Fritzlar
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Elen hat als Straßenmusikerin in Berlin begonnen. Dort ist sie geboren und aufgewachsen. Mit 17 hat sie die Schule abgebrochen. Ihre Leidenschaft ist die Musik. Die Straße ihre Bühne. Hier sind viele ihrer Songs entstanden. Vielleicht auch dieser:

„Mit leer'n Menschenmassen
Renn' ich wieder planlos durch die Stadt
Der Versuch mich anzupassen
Hat bis heute nicht geklappt

Und ich will weg mit dir
Hab' schon 'n Ort gefunden
Bevor uns jemand sucht
Sind wir schon längst verschwunden

Uh-uh-uh, ich will raus hier
Wir sind raus hier
Uh-uh-uh, ich will raus hier
Wir sind raus hier“

Der Rhythmus packt einen

Der Takt der Musik ist ansteckend. Erst bewegen sich nur meine Zehen, dann wippt mein Fuß. Und dann gerät mein Körper in Bewegung. Ich kann gar nicht anders. „Raus hier“ hat mich sofort, nicht nur vom Rhythmus.

Dabei verrät mir die Sängerin Elen gar nicht, wohin die Reise geht. Das Ziel bleibt offen. Einfach weg. Die Stadt hinter sich lassen und aufbrechen.

Einfach weg - ohne Ziel

Manchmal braucht es kein Wohin. Da reicht es, dem Impuls zu folgen, und los geht’s. So ist das bei meiner Freundin Beate. Wenn Beate das Fernweh packt, muss sie nicht lange überlegen. Zusammen mit ihrem Mann steigt sie in den umgebauten VW Bus. Dann geht es los.

Gerade jetzt, in der Ferienzeit, beneide ich sie darum. Wohin sie fährt? Das weiß niemand. Auch Beate nicht. Irgendwann schickt sie dann von unterwegs eine Nachricht. „Genießen gerade die Aussicht – es ist herrlich!“

„Mit jedem Kilometer wird es draußen leiser
Und wenn die Sonne untergeht, fahren wir weiter.
Uh-uh-uh Ich will raus hier,

will mit dir raus hier.“

Den Augenblick genießen

Ich sehe es vor mir: den Sonnenuntergang, dieser warme goldene Schein, der die Landschaft zum Glänzen bringt. Ich spüre die Abenteuerlust, die Freude am Reisen, und ich bin neugierig, wohin mich mein Weg führt. Ich genieße den Augenblick, ohne mich um das Später sorgen zu müssen. Keine Termine. Keine Emails. Keine Telefonate.

„Ich bin weg mit dir“, singt Elen, „hab unsern Ort gefunden, für alle anderen wie vom Erdboden verschwunden.“Eine wunderbare Vorstellung: vorübergehend nicht erreichbar zu sein, den Verpflichtungen zu entkommen, einfach zu verschwinden, sich an einen Ort zu flüchten, an dem mich niemand findet.

Für niemanden erreichbar sein

Elen treibt es raus aus der Stadt. Bei mir sind die Orte verschieden. Entweder ich ziehe die Wanderschuhe an und gehe mit dem Hund in den Wald. Am liebsten frühmorgens, wenn es dort noch still ist, die Vögel zwitschern und die Luft ist ganz klar.

Oder mein Weg führt mich in die Stadt, an für mich besondere Orte. Ich gehe allein ins Kino oder ins Museum. Dort schlendere ich durch die Gänge, lasse mich treiben und bin für niemanden zu erreichen. Für ein paar Stunden bin ich raus.

Diesen Orten ist gemeinsam, dass sie mir guttun, dass ich dort auftanken und für mich sein kann. Dort bin ich ganz bei mir.

Die Freude am Aufbruch

Wohin bricht Elen auf? Ihr Glück liegt zunächst einmal im Aufbruch. Ihr Ziel hingegen bleibt vage. Es ist kein touristischer Hot Spot, kein Trubel, keine Menschenmassen. Das alles hat sie mit der Stadt hinter sich gelassen. Damit könnte der Song bereits enden. Die Geschichte von der Freude am Aufbrechen ist erzählt. Aber der Song geht weiter, der Refrain kommt wieder:

„Uh-uh-uh, ich will raus hier
Wir sind raus hier
Uh-uh-uh, ich will raus hier
Wir sind raus hier
Mit jedem Kilometer wird es draußen leiser
Und wenn die Sonne untergeht, fahren wir weiter
Uh-uh-uh, ich will raus hier
Will mit dir raus hier.“

Immer weiter, nirgendwo ankommen

Immer weiterfahren, auch wenn die Sonne untergeht. Nirgends ankommen. Dahinter steckt mehr als eine Fahrt ins Grüne, mehr als der Wunsch, dem Alltag für ein paar Stunden zu entfliehen.

Dem Impuls „Raus hier“ zu folgen und aufzubrechen, kann das Leben völlig auf den Kopf stellen. Elen ist in Marzahn, einer Berliner Plattenbausiedlung, aufgewachsen. Eigentlich sollte sie Abitur machen. Ein guter Schulabschluss kann eine gute Ausbildung und später vielleicht ein gutes Auskommen nach sich ziehen. Aber Elen hat die Schule abgebrochen. Sie wollte raus aus der Schule und raus aus Marzahn. Auf den Straßen der Großstadt hat sie sich mehrere Jahre als Musikerin durchgeschlagen, bevor sie einen Plattenvertrag bekam.

Eine Reise in ein neues Leben

„Lass sie doch reden wie sie reden woll'n, hier draußen könn'n wir sie nicht hör'n“, singt Elen und meint damit vielleicht auch ihren eigenen Aufbruch in ein neues Leben. Gegen die Einwände und Bedenken anderer hat sie etwas gewagt. Nicht jeder Traum geht in Erfüllung. Den eigenen Weg zu finden, braucht Durchhaltevermögen und Vertrauen.

„Raus hier, ich will raus hier.“ Der Refrain klingt gleichförmig, ja fast monoton. Die Melodie schwingt für mich wie ein Pendel zwischen Sehnsucht und Erfüllung hin und her. Aufbrechen und Ankommen. Suchen und Finden. Ich will raus. Ich bin raus. Mal bin ich dabei allein, mal zu zweit. Ich und Wir. Wir und Ich. Einsamkeit und Zweisamkeit. Hin und her. Her und hin.

Ein Leben zwischen Sehnsucht und Erfüllung

Dieses Gefühl ist mir nicht fremd. Auch mein Leben schwingt wie so ein Pendel zwischen Sehnsucht und Erfüllung. Mal langsam, in weit ausholenden Schwüngen, mal hektisch und schnell. Hin und her, her und hin. Zwischen vertrauen und zweifeln, mutig sein und Angst haben, verzweifeln und hoffen, festhalten und loslassen, suchen und finden.

Damit ein Pendel schwingen kann, muss es irgendwo befestigt sein oder zumindest mit ruhiger Hand gehalten werden. Was gibt meinem Leben Halt? Die Antwort finde ich in meinem Glauben. In einem Psalm in der Bibel heißt es: „Du bist mein Gott. Meine Zeit liegt in deiner Hand.“ (Psalm 31,16) Ein Psalm ist ein Lied in der Bibel. Es richtet sich an Gott. Wer die Worte des Psalms singt oder spricht, sieht sich selbst als Geschöpf Gottes. „Du bist mein Gott. Meine Zeit liegt in deiner Hand.“

"Du bist mein Gott. Meine Zeit liegt in deiner Hand."

Wie der Dichter dieses Psalms glaube ich, dass mein Leben in einem größeren Zusammenhang steht. Es gibt etwas, das größer ist, als ich es bin, eine Kraft – außerhalb meiner selbst, die mein Leben zum Klingen und Schwingen bringt. Weil Gott mich hält, kann mein Leben schwingen wie ein Pendel. Mein Aufbruch ist kein Fliehen oder zielloses Umherirren. Ich bewege und verändere mich und bin dabei doch gehalten.

Der Lebensmittelpunkt auf dem Land

Im wahren Leben hat die Sängerin Elen übrigens ihren Lebensmittelpunkt außerhalb der großen Stadt gefunden. Sie wohnt mit ihrem Freund nun in Brandenburg. Gemeinsam bewirtschaften sie einen kleinen Hof. Wald. Wiesen. Felder. Natur pur. Was bleibt, ist die Musik. Und viele neue Songs. Diese Leidenschaft lässt sie nicht los, egal, an welchem Ort.

Als Sängerin wird sie immer wieder reisen und aufbrechen müssen. Das gehört zu ihrem Leben dazu. Aber vielleicht weiß sie nun, wo sie sich wohl und geborgen fühlt, wohin sie nach jedem Aufbruch wieder zurückkommen möchte.

Wer festen Halt hat, kann sich überall hinbewegen. Ich für meinen Teil vertraue auf Gott. Mein Songtext zwischen Aufbrechen und Ankommen heißt: „Du bist mein Gott. Meine Zeit steht in deiner Hand.“ Elen singt, bis man nur noch das Zirpen der Grillen hört:

„Uh-uh-uh, ich will raus hier
Wir sind raus hier
Uh-uh-uh, ich will raus hier
Wir sind raus hier
Mit jedem Kilometer wird es draußen leiser
Und wenn die Sonne untergeht, fahren wir weiter
Uh-uh-uh, ich will raus hier
Will mit dir raus hier.“

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