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Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm
Bild: Pixabay/pasja 1000

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

Norbert Mecke
Ein Beitrag von Norbert Mecke, Dekan, Evangelischer Kirchenkreis Melsungen
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„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm!“, sagen viele. Ja, es gibt ihn: den „Apfelfaktor“. Bei jedem Kind, bei jedem von uns.

„Apfelfaktor“ – so nennt Diplom-Psychologe Berthold Ulsamer das, was uns von unserer Herkunft und Erziehung her prägt. Die Gene, die wir mitbekommen haben, formen uns. Genauso formen uns Lebensgefühl, Lebensmuster und Einstellungen, die wir oft unbewusst übernommen haben. „Äpfel können weit vom Ursprungsbaum weggetragen werden“, schreibt Berthold Ulsamer. „Und doch bleiben sie dem Baum, auf dem sie gewachsen sind, verbunden und ähnlich.“ Seine Botschaft: Der Blick zurück kann frei machen für die Zukunft! Dann lohnt es sich zurückzuschauen!

Die guten Prägungen, die wir erhalten haben

Keiner von uns ist der, der er ist, ohne andere. Im Gepäck für die Lebensreise sind sie drin, die Prägungen: Die guten Vorräte, der starke Proviant, wo wir erlebt haben, dass jemand zu uns steht: „Du bist wertvoll!“; das gewonnene Zutrauen: „Du schaffst das!“; die Ration guter Werte und Traditionen. Was da an Gutem drin ist, wird manchem erst bewusst, wenn er es selbst auspackt, um es an eigene Kinder weiterzugeben. Oder wenn man mal zur Ruhe kommt und bilanziert: „Das haben andere in Dich als Kind, als Jugendlichen, als jungen Erwachsenen und bis heute investiert!“

Schlechte Prägungen, die wir mitbekommen haben

Genauso sind die anderen Sätze und Prägungen in unseren Lebensrucksäcken: Ich erinnere mich an den Satz: „Mit dir haben wir einen Fang gemacht!“ – und damit war kein großer Angelerfolg gemeint. Oder an den Moment, als ich als Zweitklässler alleine mitten im Musikraum auf einem Stuhl stand: zum Vorsingen. So lief die Aufnahmeprüfung der Musiklehrerin für den Schulchor ab: „Heut´ ist ein Fest bei den Fröschen am See…!“, habe ich geschmettert. Bis sie laut rief: „Stopp! Du kannst gehen. Du bist völlig unmusikalisch!“ Wissen Sie, wie lange einen so ein Satz begleitet?! Über alle späteren anderslautenden Kommentare hinweg. Ein Satz…!

Wie wirken dann erst Sätze nach wie: „Aus Dir wird nie was!“

Oder: „Du bist und bleibst ganz Dein Vater!“. Oder: „Du bist wie Deine Mutter. Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm.Da kannste nix machen!“

Kann man da was machen?

Oder kann man da was machen?!

„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“ Unter welchen Umständen wir groß wurden, wie wir erzogen wurden, ob guter Rückenwind oder schwere Bürde von daheim, ob anderswo kopierte Eigenschaften: Vieles hat uns geprägt. „Prägung“ heißt, dass das Leben der Seele einen Stempel aufgedrückt hat. Und wenn Stempelfarbe schon aus der Wäsche selten rückstandsfrei rausgeht: wie dann von der Seele?! Und überhaupt: Ist nicht Vieles ohnehin schon vererbt?

Ernst Pöppel, Hirnforscher an der Universität München, hält fest: „Wir treten nicht programmiert in die Welt ein, sondern mit Angeboten. Die Umwelt, in der wir aufwachsen, unsere Lebenserfahrung, sorgt dafür, dass manche dieser Angebote bestätigt, andere abgeschaltet werden.“

Bestätigung oder Abschalten von Angeboten, die in mir angelegt sind

Bestätigung oder Abschalten von Angeboten, die in mir angelegt sind: Kann ich das auch selbst beeinflussen? Es ist doch so: Eltern und Erzieher kann ich mir nicht aussuchen. Ich kann auf sie stolz oder wütend sein. Ich kann mit dem Schicksal hadern über das, was mich geprägt hat, es analysieren oder verwünschen. Entscheidend aber ist doch, was ich heute daraus mache – ob und wie ich Gestaltungsspielräume habe oder gewinne.

Ein Apfel, der so-und-soweit vom Stamm gefallen ist, kann daran nichts ändern. Ich schon. Das ist doch eine gute Nachricht!

„Da kann man nichts machen!“, diesen Satz kennt die Bibel nicht

Und dabei hilft mir mein christlicher Glaube. Den Satz: „Da kann man nichts machen!“, kennt die Bibel nicht. Im Gegenteil: Sie beschreibt von vorne bis hinten Menschen, die tief davon geprägt sind, wie ihnen Eltern, die Geschichte oder die Lebensumstände mitgespielt haben. Und so unterschiedlich sie alle sind, ist ihnen gemeinsam: Gott bewirkt in ihrem hier und heute Veränderungen, kitzelt Potentiale wach, lässt sie über sich hinauswachsen. So wie z.B. Paulus, für den von der Pike auf das Leben nach Regeln A und O war. Und dann packt der Spirit von Jesus sein Herz und er beginnt, größer zu denken, barmherziger zu lieben und bunter zu hoffen.

Gott drückt nie „Reset“ und setzt einfach die Prägungen auf „Null“. Er legt aber seine Angebote in die Spielzüge des Lebens hinein. Er eröffnet Freiräume!

Der Blick zurück kann frei machen

Der Blick zurück auf den „Apfelfaktor“, die Ursachen meiner Prägung, mag für die Zukunft freimachen. Ich verstehe manches besser. Aber rückwärts können wir nichts ändern. Welchen Prägungen ich mich heute aussetze, ist entscheidend. Und vor allem: Ich kann es mitentscheiden!

„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“, heißt gut biblisch: Du kannst gar nicht so weit oder tief fallen, dass Du aus Gottes Liebe fällst. Die steht fest. Und sie schenkt mir Weite und eröffnet Möglichkeiten, wo meine Herkunft oder Prägung vielleicht gar keine für mich hatte. So wird sie zum Ursprung und zur Wahrheit meines Lebens.

Gottes Sicht auf uns

Die Bibel stellt so manchem Prägesatz, der ein Leben nachhaltig beeinflussen kann, Gottes Sicht gegenüber:

„Du warst kein Wunschkind!“ –  
„Ich habe Dich je und je geliebt!“ (Jer. 31, 31)

„Du bringst nie etwas zu Ende!“ –
„Ich bin bei Dir alle Tage, bis ans Ende!“ (Mt. 28, 20)

„Du hast zwei linke Hände. Zu nix zu gebrauchen!“ –
„Ich sende Dich als Licht in die Welt“. (Joh. 20, 21 / Mt. 5, 14)

„Immer machst Du alles falsch!“ –
„Ich bringe Dich in Ordnung. Deine Sünde ist Dir vergeben!“ (Mk. 2, 5 / Joh. 8, 1-10)

„So einer bist und bleibst Du eben!“ –
„Wer zu mir gehört, wird innerlich neu!“ (2. Kor 5, 17)

Vertrauen auf Gott verändert die Sicht auf das eigene Leben

Vertrauen auf Gott verändert die Sicht auf das eigene Leben – auch auf Licht und Schatten von Prägungen.

Wie war das? „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Äpfel können weit vom Ursprungsbaum weggetragen werden und doch bleiben sie dem Baum, auf dem sie gewachsen sind, verbunden und ähnlich.“

Ich glaube: Mehr als alles und jeder andere ist dieser Ursprungsbaum Gott. Und der entscheidende „Apfelfaktor“, dem ich mich heute und jetzt aussetzen will, ist: Seiner Liebe verbunden zu bleiben und ähnlicher zu werden!  

„Da kann man nichts machen!“ Von wegen: Man kann! Und Gott erst recht! 

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