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Störfall
Bild: Pixabay/stux

Störfall

Hermann Trusheim
Ein Beitrag von Hermann Trusheim, Evangelischer Schulpfarrer, Hanau
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Es wird gefeiert. Natürlich wird gefeiert. Warum auch nicht? Feiern sind ein guter Anlass, sich zu präsentieren. Zeigen, was man alles hat und kann. Sich selbst und den anderen. Ein gutes Bild abgeben, darauf kommt es an.

Die Stadt wird herausgeputzt und schöngemacht

Die Stadt wird herausgeputzt, schöngemacht. Gebäude renoviert, manche extra neu errichtet. Alles wird gesäubert. Stassen und Plätze von Dreck und Unrat, das Stadtbild von dem, was nicht ins schöne Bild passt.

Heute ist der große Tag

Die Leute strömen herbei, auch herausgeputzt. Kleidung und Schmuck vom Feinsten. Denn heute ist der große Tag. Eröffnung der Feierlichkeiten. Mit Pomp und allem, was dazu gehört, Musik, feierlich Reden, allenthalben Feststimmung. Was für ein tolles Bild.

Ein "Störfall" tritt auf

Auf einmal tritt der Störfall ein, oder besser gesagt – der Störfall tritt auf. Ein Mann drängt sich durch die Menge. Dass er nicht dazugehört, sieht jeder. Er sieht aus wie einer vom Land, ein Bauer. Er schubst alle weg, die ihm im Weg sind, stellt sich mitten auf den großen Platz. Und dann brüllt er los: "Hört auf mit Geplärr eurer Lieder! Ich kann euer blödes Harfengezupfe nicht mehr hören!" Weitere Worte gehen in der aufgebrachten Reaktion der Leute unter, die sowas nicht hören wollen, heute schon gar nicht. Ordnungskräfte schleifen Amos fort.

Vor 2.800 Jahren ist der Prophet Amos ein Störfall

Das ist schon sehr lange her. Vor 2.800 Jahren ist der Prophet Amos ein Störfall bei einem großen Fest.

Wie er dazu kommt?

Feiern hat seinen Preis. Damit die einen feiern können, müssen die anderen bezahlen. Rücksichtslos haben die Herrschenden und die Oberschicht eine Besitzverteilung vorgenommen.

Er klagt die Missstände an

Umverteilung von unten nach oben. Enteignungen, hohe Steuern gerade für die ärmeren Teile der Bevölkerung, Rechtsbeugung, Ämtermissbrauch, Korruption sind an der Tagesordnung. Und das System funktioniert. Alles läuft wie geschmiert – das ist es ja auch.

Korrupte Systeme sind auf tolle Bilder angewiesen

So ein System ist auf tolle Bilder angewiesen. Damit niemand hinter die Kulissen schaut, damit verdeckt wird, welche Missstände wirklich herrschen. Da bieten sich Feierlichkeiten an, bei denen man sein Image nötigenfalls aufpolieren kann.

Amos bringt Gottes Stimme zu Gehör

Amos kommt von unten. Er hat das Unrechtssystem erlebt und durchschaut es. Was da geschieht, ist gegen Gottes Willen und Gebote. Erst will er nicht, als Gott ihn zum Propheten beruft – aber dann zieht er doch los. Er will nicht länger die Missstände mitansehen. Er will Gottes Stimme zu Gehör bringen. Und er brüllt seine Wut heraus.

Warum höre ich gerade heute das Echo seiner Stimme durch die Jahrhunderte?

Am 6. Februar 1936 - Eröffnung der olympischen Winterspiele in Garmisch

Der 6. Februar. Am 6. Februar 1936 wurden die olympischen Winterspiele in Garmisch eröffnet. Ein totalitäres, menschenrechtverachtendes System versuchte mit der Ausrichtung der olympischen Spiele sein Image aufzupolieren. Das gehörte zur Propaganda. Hetze und Gewalt gegen jüdische Menschen wurden für die Zeit der Spiele ausgesetzt – aber nur in den Austragungsorten. Tolle Bilder sollten um die Welt gehen, um die Augen der Weltöffentlichkeit zu blenden. Nur wenige durchschauten das damals, ihre Stimme wurde überhört.

Februar 2022: Olympische Winterspiele in Peking

Im Februar 2022 finden auch olympische Winterspielspiele statt. Nein, kein Vergleich mit den Spielen der Nazis. Deren Verbrechen sind nicht vergleichbar.

Aber das Thema Menschenrechte betrifft China, den aktuellen Austragungsort. Wie steht es mit der Vereinbarkeit von Olympia und Menschenrechtsverletzungen?

Dazu äußert sich der Olympische Geist, wie ihn die Olympische Charta formuliert.

Der Olympische Geist fördert eine friedliche Gesellschaft, die Menschenrechte achtet

Hier lese ich, dass der Olympische Gedanke auf der "Achtung universell gültiger fundamentaler moralischer Prinzipien aufbaut."

Der nächste Absatz in der Präambel wird noch konkreter. Es geht im Olympischen Geist darum, "eine friedliche Gesellschaft zu fördern, die der Wahrung der Menschenrechte verpflichtet ist."

Welche Kriterien gelten bei der Auswahl der austragenden Nationen?

Nach solchen Zitaten drängt sich mir schon die Frage auf: Welche Kriterien gelten bei der Auswahl der austragenden Nationen? Wie lässt sich verhindern, dass die Spiele Plattform der Propaganda totalitärer Regime werden?

Es ist kompliziert. Ob ein – wie öfter erlebt – sportlicher Boykott der Spiele etwas bringt, oder wie aktuell zu erleben, ein verschämter politischer Boykott? Spielt das nicht einer Politisierung des Sportes in die Hände, die doch alle stets nicht wahrhaben wollen? Noch dazu ausgetragen auf dem Rücken der Athletinnen und Athleten, die meist nur einmal im Leben die Chance haben, an einem solchen Ereignis teilzunehmen.

Dem Olympischen Geist mehr Beachtung schenken

Der Olympische Geist ist ein guter Geist. Es wäre gut, ihm mehr Beachtung zu schenken.

Ich denke, der Prophet Amos würde dem zustimmen. Denn Amos, der einfache Bauer, der das Leben kennt und seinen Gott, weiß auch, worauf es ankommt im Leben: "Das Recht ströme aber wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach" (Amos 5,24). Das ist Gottes Wille. Recht und Gerechtigkeit. Das soll umgesetzt werden.

In Gottes Augen ist Unrecht ein Störfall der Gesellschaft

Wie es scheint, war Amos Einzelkämpfer. Er wurde als Störfall wahrgenommen und beseitigt.

Dabei ist der eigentliche Störfall nicht der, der im Namen Gottes auf Unrecht und Ungerechtigkeit aufmerksam macht. In den Augen Gottes sind Unrecht und Ungerechtigkeit der eigentliche Störfall einer Gesellschaft in der Recht und Gerechtigkeit gelten sollen.

Vielleicht hilft Amos dabei, genau das zu erkennen. Und was dagegen zu tun. Aber was kann ich schon machen?

Mögliche Zeichen setzen - viele machen sich Gedanken

Also erstmal bin ich nicht allein. Viele machen sich Gedanken. Gerade in den öffentlich-rechtlichen Medien. Wer will, kann sich informieren über politische und ökonomische Menschenrechtsverletzungen gerade dort, wo Sport missbraucht wird für Propaganda. Und dann sich entscheiden und was tun.

Eröffnungsfeier und Abschlussfeier nicht anschauen?

Ich mag Sport. Ich bin fasziniert vom Können und den Leistungen der Athletinnen und Athleten. Ich fiebere gern mit, wenn es um Rekorde geht.

Aber das Drumherum, gerade, wenn es der Zurschaustellung totalitärer Regime dient, das brauche ich nicht. Die Eröffnung habe ich mir nicht angeschaut, die Schlussfeierlichkeiten werde ich auch nicht angucken.

Was würde Amos dazu sagen?

Was Amos dazu sagen würde, weiß ich nicht. Ob es ihm als Zeichen des Protestes genügt? Ob er es als kleinen Störfall, der auf den großen Störfall hinweist, anerkennen würde? Vielleicht würde er mich darauf aufmerksam machen, dass ich meinen Konsum auch jenseits von Olympia überdenken sollte… Vielleicht würde er mir auch sagen: "Du hast schon kapiert, worum es geht. Achte darauf: Wo immer Menschenrechte mit Füßen getreten werden, da nimm dir ein Beispiel an mir – trau dich, was zu sagen, trau dich, was zu tun – du bist im Namen des Herrn unterwegs!"

Ein mögliches Zeichen

Ich denke, es könnte schon ein Zeichen sein, wenn sich Teile der Öffentlichkeit den trügerischen Bildern der Feierlichkeiten verweigern. Das würde nicht unbemerkt bleiben und es könnte ja noch mehr draus werden…

Ende des Jahres steht das nächste Großereignis im Sport ins Haus. Als Fußballfan muss ich mir dazu auch noch was überlegen.

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