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Heimkommen
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Heimkommen

Ayleen Nüchter
Ein Beitrag von Ayleen Nüchter, Katholische Gemeindereferentin im Pastoralverbund St. Benedikt Hünfelder Land
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"Warum weinen Sie? Sitzen Sie im falschen Zug?" Diese Frage stellte mir eine Passagierin, die genau wie ich im Zug Richtung Fulda unterwegs war. Über mein Gesicht liefen warme Tränen. Die Jacke hatte ich schon übergezogen, als der ICE beim letzten Mal anhielt. Der rote Koffer mit dem kleinen Eisbären, als ständiger Begleiter, stand längst neben mir. Bereit zum Ausstieg.

"Nein" antwortete ich der Frau, die die ganze Fahrt lang mit ihrem Sudoku Heft beschäftigt war. "Ich weine, weil ich endlich wieder Zuhause bin." Da lächelte die Frau sichtlich erleichtert über meine Antwort, weil meine Tränen aus Freude über meine Wangen liefen. Diesen Moment, als ich nach meinem Studium nach Hause kam, werde ich nie vergessen. Obwohl es ein regnerischer Tag war, überrannte mich das Gefühl der Gewissheit, angekommen zu sein. Im Studium fühlten sich für mich die Wochenenden in der Heimat noch kürzer an. Allerdings genoss ich es rückblickend zu keiner Zeit so sehr nach Hause zu kommen wie in diesen drei Jahren des Pendelns. Manche meiner Kommilitonen konnten nicht nachvollziehen, was ich am Heimkommen so sehr schätzte. "Es sind doch immer dieselben Menschen, die dort auf dich warten", sagten sie. Viel Gewohntes, wenig Spannendes. Doch das, was es dort gab, das war verlässlich, das war sicher und gab mir ein Gefühl von Geborgenheit. Zu spüren, dass jemand wartet, bis ich spät abends eintreffe - das machte es aus.

Eine Ursehnsucht nach dem Gefühl des An- bzw. Heimkommens trägt jeder Mensch ein Stück weit in sich. Ich denke da besonders an die Menschen, die ich im letzten Jahr bei einem Todesfall in der Familie begleiten durfte. Ich erfuhr in diesen Trauergesprächen beeindruckende Lebensgeschichten. Eine Situation beschäftigt mich noch bis heute. In dieser Familie verlor ein Mann seine beiden Elternteile innerhalb weniger Tage. Er erzählte mir von seiner innigen Beziehung zu seinem Vater und zu seiner Mutter. Das Elternhaus stand leer und all das, was für ihn das Heimkommen besonders machte, ist ihm plötzlich genommen worden. Es ist nicht das Gebäude, dass ein Zuhause zu einem Daheim macht, sondern vielmehr sind es die Menschen, die mich dort erwarten und mich prägen. Liebgewonnene Traditionen an den Feiertagen, stundenlange tiefgründige Gespräche. Die Versöhnung nach einer hitzigen Diskussion unter Geschwistern und der einzigartige Duft in der Wohnung, wenn Oma Kuchen backt. Das ist es, was ein Zuhause ausmacht.

Das, was Hinterbliebene beim Verlust eines geliebten Verwandten bedrückt, ist die scheinbar endgültige Trennung. Die Ungewissheit an welchem Platz dieser Verstorbene nun verweilt. Hier kann die christliche Botschaft Trost spenden und den Blick der Trauer in Hoffnung und Zuversicht wandeln. Als Christ vertraue ich auf ein Wiedersehen bei Gott. Der Ort dieses Wiedersehen wird nicht gleichgültig oder ohne tiefere Bedeutung sein. Der, auf den ich vertraue, wird mir die Türe öffnen, um mich in Liebe zu empfangen. Und zwar in einem Haus, dass ich nie wieder verlassen muss. Heimkommen für immer. Ich erfahre diese Zusage aus einer Stelle der Heiligen Schrift, die bei vielen Trauerfeiern aus dem Johannesevangelium verkündet wird. Dort steht geschrieben: "Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott, und glaubt an mich! Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen."

In Situationen des Leids und der Trauer gerät mein Herz in große Versuchung, sich verwirren zu lassen. Die Unsicherheit, die Traurigkeit und all das, was mir den klaren Blick verwehrt. Ich sehne mich nach der Gewissheit, dass es einen Ort gibt, an dem ich mich niederlassen kann. Und das genau in der Art und Weise, wie es gut für mich ist. Jesus spricht hier von vielen Wohnungen. Ich stelle mir also ein großes Haus mit mehreren Stockwerken vor. Einem jedem verspricht hier Gott seine vier Wände, die für mich zur ewigen Heimatstätte werden können. Als Sterbender auf eine Wohnung bei Gott, auf eine ewige Heimat vertrauen dürfen, das ist ein echtes Geschenk. Ich darf also an diesem Ort das Gefühl des Angenommenseins, des Wohlfühlens und Heimkommens noch viel intensiver spüren als in meinem irdischen Leben. Bei Gott zu wohnen, – in seiner Liebe daheim zu sein, das weckt in mir eine große Sehnsucht.

Ich sehne mich nach diesem Zuhause, wo ich nichts unter Beweis stellen muss. Hier verlangt niemand von mir, eine Fassade zu bewahren. Was ich auch fühle oder denke, ich darf ehrlich sein. Zweifeln und Schwäche ist erlaubt. Ich muss nicht funktionieren. Ob meine Haare liegen oder das Bett gemacht ist, ist zweitrangig. Ein Zuhause, das Heimkommen und einen Platz, an dem ich willkommen bin. Was ich daran schön finde? Dass mich jemand in- und auswendig kennt. Ich muss mich nicht erklären oder rechtfertigen. Ob Sie es glauben oder nicht: Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.  

Bei dem Blick in die Bibel entdecke ich eine weitere Stelle, die das Gefühl des Heimkommens erweitert und vertieft. Das Neue Testament der Bibel erzählt vom Leben Jesu. Hier ist die Rede von zwei Söhnen, von denen sich einer gegen das Leben Zuhause - und für das Leben in Saus und Braus entscheidet. Ich rede vom Gleichnis vom verlorenen Sohn. Was mich an dieser Geschichte beeindruckt, ist die Reaktion des Vaters. Sein Sohn kommt nach Hause, nachdem er sein ganzes Hab und Gut auf den Kopf gehauen hat. Und er hat dabei ein ziemlich schlechtes Gewissen. Doch der liebende Vater nimmt seinen Sohn vergebend und ohne zu zögern Zuhause auf. Der Vater sieht ihn am Fenster bereits kommen, läuft ihm entgegen, öffnet seine Arme, um dem verlorenen Sohn zu signalisieren: "Ich verzeihe dir!" Er freut sich über die Rückkehr und vergibt ihm von ganzem Herzen. Der barmherzige Vater bringt für mich damit bewundernswert zum Ausdruck, was Heimkommen noch bedeuten kann. Heimkommen kann Vergebung sein. Versöhnung. Ein Ort, an dem ich so sein darf, wie ich bin. Die andauernde Gewissheit, an diesen Platz zurückkehren zu dürfen.

Dieser Umgang untereinander, die Atmosphäre, die im Gleichnis herrscht, kann vielleicht ein kleiner Vorgeschmack sein, auf die Wohnung bei Gott im Himmel. Denn Gott ist für mich wie ein liebender Vater oder eine liebende Mutter, er ist wie ein guter Freund, der mich bei sich aufnimmt. Eine Heimat, ein Zuhause als einen Ort, auf den mich Jesus mit Blick in die Bibel schon jetzt verweist. Diese Zusage klingt für mich nicht nach Sorge oder Ungewissheit mit Blick auf die Zeit, in der ich meine irdische Heimat verlasse. Eher erinnert sie mich an das magische Gefühl des Heimkommens nach einer langen Zugfahrt aus der Ferne. Ich wünsche Ihnen diese Erfahrung des Heimkommens unter Freudentränen. Ich möchte diesen Wunsch allen Menschen zusprechen, die gerade am Anfang dieses neuen Jahres auf der Suche nach diesem Heimatgefühl sind. Ebenso werbe ich für Behutsamkeit bei all denjenigen, die selbst jeden Tag aufs Neue das Gefühl des eigenen Zuhauses mitgestalten. Ich bete für Sie und für mich. Und zwar um das feste Vertrauen auf die Zusage Jesu, in der er von Wohnung und ewiger Heimat bei Gott spricht. Mögen besonders auch alle Familien, die in diesen Tagen von einem geliebten Menschen Abschied nehmen müssen, mit diesem zuversichtlichen Blick gesegnet sein.

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