Beitrag anhören:
Mal aus dem Takt sein
Pixabay

Mal aus dem Takt sein

Alexander Matschak
Ein Beitrag von Alexander Matschak, Medienkoordinator des Bistums Mainz
Beitrag anhören:

Es stand links oben. Immer in Griffweite, direkt neben einem Notenstapel: mein altes Metronom. Es ist ein ganz klassisches Metronom gewesen: mit einem hölzernen Gehäuse, mit mechanischem Aufziehwerk und einem kleinem Gewicht an einer schmalen Stange. Manchmal sieht man solche Metronome och in den Schaufenstern von Klavierläden stehen. Jeden Nachmittag habe ich damals in den Kindertagen mein Metronom aufgezogen, das Tempo eingestellt: Andante, Allegro, Vivace. Und dann hat es mir beim Klavierüben den richtigen Takt vorgegeben. Unerbittlich, tick-tack, tick-tack, tick-tack. Egal ob bei Bach, Schubert oder Mozart. Denn meine Klavierlehrerin war der festen Überzeugung: Nur wenn ich ein Klavierstück mit Metronom kann, dann kann ich es richtig. Und so hat es mich begleitet, viele Jahre lang.

Mein altes Metronom: Beim Umzug ist es kaputt gegangen und war nicht mehr zu reparieren. Schweren Herzens habe ich es wegschmeißen müssen. Vergangenes Weihnachten habe ich nun ein neues bekommen. Aber es sieht ganz anders aus als sein als sein Vorgänger. Eher wie ein Walkie-Talkie. Sein Tick-tack wird auch nicht mehr mechanisch erzeugt, sondern elektrisch, dafür kann man sogar Taktschwerpunkte vorgeben: Vierviertel-Takt, Dreiviertel-Takt, Sechsachtel-Takt. Und die Lautstärke einstellen. Ich muss allerdings zugeben: Es sieht nicht mehr so hübsch aus wie sein Vorgänger und steht auch deswegen nicht mehr ganz so prominent links oben auf meinem Klavier.

Mein neues Metronom: Es gibt nun meinen Kindern den Takt vor. Denn beide spielen jetzt seit gut einem Jahr Klavier. Und das machen sie ziemlich gut. Allerdings hat mich eine Sache bisweilen wahnsinnig gemacht. Wenn sie geübt haben, dann habe ich ihnen gerne das Metronom angestellt – so wie ich es gelernt hatte. Aber meine Kinder haben den Metronomschlag meist ignoriert, beim Üben einen anderen Takt, einen anderen Rhythmus gespielt. Immer wieder habe ich sie ermahnt: Du spielst falsch, hör doch auf den richtigen Schlag! Und das Metronom lauter gestellt. Meist haben sie dann bald aufgehört zu üben. Waren genervt von meinen Vorgaben. Aber wenn ein paar Wochen herum gewesen sind: Dann haben sie ihr Stück richtig gespielt im Takt und Rhythmus. Ganz ohne dass ihnen der Metronomschlag helfen musste.

Das hat mich dann ja doch etwas nachdenklich gemacht. Scheinbar kann ich auch zu einem Ziel kommen, wenn ich mal etwas jenseits der geordneten Wege bewege. Mich flexibler verhalte. Einen Umweg ausprobiere, sogar einmal stehen bleibe. Vielleicht dauert dieser Weg etwas länger. Aber möglicherweise kann ich mehr Erfahrungen sammeln und Schwierigkeiten ganz anders lösen, als wenn ich stur im Takt geradeaus laufe und nicht nach links und rechts blicke. Ich denke: Das gilt nicht nur für die Musik, sondern auch für das Leben ganz allgemein. Mein neues Metronom: Ich glaube, das muss jetzt erstmal in die Schublade.

 

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren