Vertrauen in Gott - Vertrauen in die Zukunft
Ein frohes neues Jahr wünsche ich Ihnen! Ich hoffe, Sie haben es mit Hoffnung und mit Zuversicht beginnen können. Und vielleicht ja auch mit Gottvertrauen. Das ist mir selber jedenfalls ganz besonders wichtig.
Und so möchte ich Ihnen an diesem Neujahrsmorgen eine Geschichte vom Gottvertrauen erzählen. Eine Geschichte, die ich selber erlebt habe. Nur, dass der Junge, der in dieser Geschichte die Hauptperson ist, hier mit einem anderen Namen vorkommen wird.
Ich nenne ihn hier Jonathan. Jonathan ist acht Jahre alt, und ich habe ihn erst zweimal gesehen. Das erste Mal war im vergangenen Sommer. Ich erinnere mich noch genau. Es war einer dieser wahnsinnig heißen Tage.
Und das zweite Mal sah ich ihn beim Laternenumzug am Martinstag, also Mitte November. Bei diesem Umzug waren so viele Kinder mit dabei, dass mir Jonathan zunächst gar nicht aufgefallen war. Erst am Schluss,als alle Kinder ihren Martinswecken bekommen hatten, und nun nach Hause gingen, da kam er zusammen mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder direkt auf mich zu. Und die Mutter sagte: „Erinnern Sie sich noch an uns? Wir waren doch im Sommer bei Ihnen. Und wir wollten Ihnen nur sagen: Alles ist gut geworden. Jonathan kann wieder schlafen. Und schon am zweiten Tag konnten wir alle gemeinsam das Gebet auswendig.“
Ich sagte, da würde ich mich ja sehr freuen. Denn ich hätte danach noch oft an Jonathan gedacht und mich gefragt: Wie mag es ihm wohl jetzt gehen?“
Beide Jungs, Jonathan und sein etwa 6 jähriger Bruder lächelten mir zu. Und ich sagte zu ihnen: „Das ist ja toll mit dem Gebet. Könnt Ihr es mir vielleicht jetzt auch mal sagen?“ Und beide Jungs begannen zu sprechen:
Gott, bei dir bin ich geborgen,
hab keine Angst vor morgen,
weil nach jeder dunklen Nacht
ein neuer heller Tag erwacht.
Musik J.S.Bach,Präludium E-Dur BWV 854
Gott, bei dir bin ich geborgen,
hab keine Angst vor morgen,
weil nach jeder dunklen Nacht
ein neuer heller Tag erwacht.
Das war das Gebet, das mir die beiden Jungs am Ende des Martinstags ohne alle Mühe hersagen konnten.
Aber wie war es dazu gekommen? Und was bedeutete es, dass die Mutter sagte: Es ist alles gut geworden mit Jonathan?
Ich glaube, ich muss jetzt nochmal von ganz vorne beginnen.
Wie gesagt: es war im letzten Sommer. Da klingelte es am Morgen in meinem Pfarrbüro. Vor der Tür stand eine Frau, die fragte, ob ich einen Moment Zeit hätte. Sie erzählte mir dann, es ginge um ihren ältesten Sohn. Jonathan, 8 Jahre. „Er kann nicht mehr gut schlafen“, sagte sie, „und vor allem das Einschlafen fällt ihm immer so schwer. Er sagt: ‚Ich muss immer an den Tod denken‘. Und deshalb könne er nicht einschlafen.“
Und die Mutter berichtete weiter: „Mein Mann und ich haben uns schon viele Gedanken darüber gemacht. Und jetzt kam uns der Gedanke: Vielleicht können wir ja mal gemeinsam mit dem Pfarrer darüber sprechen.“
Die Mutter des Jungen und ich verabredeten dann noch für denselben Nachmittag ein Treffen bei mir im Büro.
Und gegen 5 Uhr waren dann auch alle da. Die ganze Familie: Vater, Mutter und die beiden Söhne.
Wir kamen ins Gespräch, und ich freute mich, dass auch die beiden Jungs sich nicht scheuten und wie die Erwachsenen frei erzählten.
Es stellte sich heraus: Der Großvater der Kinder war vor kurzem gestorben. Alle waren auch auf der Beerdigung gewesen, als die Urne beigesetzt wurde. Der Verlust war groß. Alle waren sehr traurig. Aber Jonathan war mehr als traurig. Er hatte – um es mal so zu sagen – das Vertrauen in das Leben verloren. Nichts konnte ihn wirklich trösten. Auch nicht der Gedanke, dass der Opa jetzt bei Gott ist und dass es ihm da jetzt gut geht.
Allmählich merkte ich, dass es nun reichte mit unserem Gespräch. Ich schaute in meinem Büro herum wie auf der Suche nach einem Rettungsanker. Und da fiel mir dann ein kleiner Stapel mit eingepackten Geschenken ins Auge. Es waren Bücher, die ich gerne an Eltern verschenke, wenn sie ein Kind zur Taufe bringen. Bücher mit Kindergebeten.
Von diesen eingewickelten Büchern nahm ich nun eines und sagte zu Jonathan: „Ich will dir dies Buch schenken. Aber erst einmal will ich schauen, ob wir hier nicht ein schönes Abendgebet finden. Jonathan wickelte das Buch aus und gab es mir dann wieder zurück. Ich schlug auf: Abendgebete. Und das erstbeste, das mir da begegnete, las ich laut vor:
Gott, bei dir bin ich geborgen,
hab keine Angst vor morgen,
weil nach jeder dunklen Nacht
ein neuer heller Tag erwacht.
Musik J.S. Bach, Präludium Cis-Dur BWV 871
Gott, bei dir bin ich geborgen,
hab keine Angst vor morgen,
weil nach jeder dunklen Nacht
ein neuer heller Tag erwacht.
Das Gebet stand nun im Raum. Auch ich hatte es vorher nicht gekannt. Aber ich hatte sofort das Gefühl: Ja ganau, das ist es! Darin steckt Kraft und Zuversicht für Jonathan.
Gott, bei dir bin ich geborgen,
hab keine Angst vor morgen.
Ich dachte: Ja, genau darum geht es doch wohl bei Jonathan. Es geht um Angst und es geht ums Vertrauen. Denn ohne Vertrauen kann ich nicht loslassen. Ohne Vertrauen, muss ich mich fürchten. Ohne Vertrauen fällt es mir schwer abzuschalten und einzuschlafen.
Gott, bei dir bin ich geborgen.
Und nun schlug ich der ganzen Familie folgendes vor: „Bitte, lernt doch alle gemeinsam dieses kurze Abendgebet auswendig. Alle sollen es sprechen können. Und wenn ihr dann schlafen geht, könnt ihr es immer sprechen. Entweder gemeinsam oder auch allein. So oder so: alle beten mit denselben Worten. Wollt ihr das mal probieren?“
Und alle waren einverstanden.
Und wie es dann weiterging mit Jonathan und seiner Familie, wissen Sie ja schon. Tatsächlich dauerte es nicht lange, dass es mit Jonathan wieder gut wurde. Schon nach zwei Tagen konnten alle das Gebet auswendig.
Und mit dem Einschlafen ging es jetzt viel besser. Es gibt Tage, da ist es noch immer nicht leicht, loszulassen und in den Schlaf zu kommen, erzählt die Mutter. Aber im Großen und Ganzen gibt’s jetzt kein Problem mehr. Gott sei Dank!
Für mich gehört diese Geschichte mit zum Schönsten, was ich im vergangenen Jahr erlebt habe. Und sie zeigt mir zugleich, worauf es im neuen Jahr mehr als auf alles andere ankommt. Nämlich aufs Vertrauen. Auf das Vertrauen in Gott.
Gott, bei dir bin ich geborgen,
hab keine Angst vor morgen.
Gottvertrauen. Wahrscheinlich gibt es wirklich nichts, was wichtiger ist. Und eine Hilfe kann es sein, wenn ich mit meinem Vertrauen nicht alleine bin. Wenn ich mich zusammen mit anderen gemeinsam auf Gott verlassen kann, dann macht uns das gemeinsam stark.
Gott, bei dir bin ich geborgen – nicht allein Jonathan betet jetzt so, sondern auch Mama und Papa und der Bruder. Und wo wir Vertrauen mit anderen teilen, gibt uns das Halt und Orientierung. Gemeinsames Vertrauen macht uns stärker von Tag zu Tag.
Musik H.Schütz, Was mein Gott will
Gottvertrauen – das scheint mir etwas zu sein, was völlig quer steht zu so vielem, was wir erleben.
Die Angst vor dem, was morgen kommt oder kommen könnte – diese Angst ist oft erstaunlich groß. Und täglich wird sie genährt durch Nachrichten, die uns beunruhigen und durch Erlebnisse, die uns verunsichern.
Dazu gehören beunruhigende, manchmal auch ganz persönliche Fragen:
Wie wird es weiter gehen mit mir? Werde ich wohl wieder gesund werden? Wird es Menschen geben, die an meiner Seite stehen, wenn ich Hilfe brauche?
Oder wie wird es weitergehen mit der Ehe und mit der Familie? Schaffen wir es wohl, zusammen zu stehen und einen neuen Anfang zu machen?
Und dann gibt es da die vielen Sorgen und Ängste um unsere Welt. So vieles ist da beunruhigend und unsicher.
Manche Länder suchen verstärkt nur den eigenen Vorteil. Demokratien entwickeln sich wieder zu Diktaturen. Konflikte und Kriege nehmen kein Ende. Und ob es eine Rettung für die geschundene Natur und für den gefährdeten Klimahaushalt dieser Erde geben kann – das ist alles andere als gewiss.
Es verwundert jedenfalls nicht, dass viele Menschen sorgen- und angstvoll in die Zukunft blicken. Und der Ratschlag „Hab keine Angst, sondern hab Vertrauen“ mag da weltfremd erscheinen und naiv. Aber in Wahrheit enthalten diese Worte Kraft. Sie können Zuversicht schenken. Und daraus kann die Kraft zum Hoffen werden und zum Handeln für diese Welt.
Gott, bei dir bin ich geborgen
hab keine Angst vor morgen –
gilt diese Zuversicht auch noch angesichts der großen Herausforderungen, denen wir aktuell ins Auge blicken? Sei es im privaten oder im öffentlichen Leben?
Wenn ich es mir gut überlege, muss ich sagen: Trotz eigener Zweifel und Ängste wünsche ich mir: Mein Gottvertrauen möge doch bestehen bleiben. Es möge sich quer stellen zu all diesen Ängsten und Sorgen. Und es gibt Momente, wo ich deutlich spüre: Mein Vertrauen in die Zukunft hat einen tieferen Grund.
Wie gesagt: Nicht, dass ich nicht selber auch sehr beunruhigt wäre durch so vieles Schlechte. Nicht, dass ich nicht auch manchmal wach liege und nicht zur Ruhe komme.
Und doch gibt es dann gottseidank immer wieder auch das Vertrauen, das sich einstellt trotzalledem. Obwohl Angst und Sorgen mich bedrängen, glaube ich doch, dass Gott alles gut machen wird.
Gottvertrauen, so haben es Menschen immer wieder erleben können, ist ein Vertrauen trotz Angst und Sorge. Gottvertrauen bewährt sich im trotzigen dennoch.
Mein liebstes Bibelwort zum Gottvertrauen sind Verse aus Psalm 73 (23-26), wo es heißt:
Dennoch bleibe ich stets an dir;
denn du hältst mich bei meiner rechten Hand,
du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an.
Wenn ich nur dich habe,
so frage ich nichts nach Himmel und Erde.
Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet,
so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.
Musik J.S. Bach, Präludium d-moll BWV 851
Dennoch bleibe ich stets an dir;
denn du hältst mich bei meiner rechten Hand.
Es ist dieses Gottvertrauen trotz so mancher Widrigkeiten und Herausforderungen, um das es gehen soll im neuen Jahr. Das wünsche ich mir, und das wünsche ich Ihnen.
Und damit wir auch die Kraft haben, dieses „Dennoch“, wovon der Psalm spricht, zu leben und zu empfinden, braucht es die anderen Menschen. Menschen, die mit uns in dieselbe Richtung schauen. Menschen, die uns Mut machen können.
In der Geschichte mit dem achtjährigen Jonathan war es das Gebet, das alle in der Familie sprechen konnten, was geholfen hat. Jonathan konnte erleben: ich bin geborgen bei Gott und ich bin geborgen in einer Gemeinschaft, die Vertrauen hat und Vertrauen gibt.
Ich glaube, es braucht dieses gegenseitige Erinnern „Habe Vertrauen!“, das uns am Ende hilft, das Vertrauen auch zu leben.
Eine Form dieser Gemeinschaft ist noch immer die christliche Gemeinde. Ich weiß, viele Menschen haben da auch schon Enttäuschendes erlebt. Aber für viele ist der Gottesdienst noch immer eine Kraftquelle und eine Gemeinschaft, die Mut macht.
Gottvertrauen – halten Sie im neuen Jahr danach Ausschau! Wo sind die Menschen, die Ihnen guttun und Sie stärken können, wenn Sie unsicher sind? Welche Worte machen Ihnen Mut?
Mit Gottvertrauen kann Sie nichts völlig entmutigen. Dann können wir mit dem Psalmdichter beten:
Wenn ich nur dich habe,
so frage ich nichts nach Himmel und Erde.
Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet,
so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.
Musik H.Schütz, Herr, wenn ich nur dich habe