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Schlendern ist kein Luxus
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Schlendern ist kein Luxus

Andrea Seeger
Ein Beitrag von Andrea Seeger, Evangelische Theologin
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„Schlendern ist Luxus“ hat Ulla Meinecke gesungen. Das ist ein paar Jahrzehnte her und immer noch gut. Im Text heißt es: „Ein Abend wie Seide, keine Lust auf‘n Bus. Ich geh‘ zu Fuß, weiche Schultern, leichter Gang. So könnt‘ ich laufen stundenlang.“ Ich spüre förmlich, wie sie durch die Stadt schlendert. Schon allein das Wort hört sich sympathisch an. Zeit haben und einfach schlendern. Wer macht das denn heute? Flaniert, promeniert, bummelt oder trödelt gar.

Wie unser Sohn, der für eine Strecke von 400 Metern zum Kindergarten gute 20 Minuten brauchte. Dafür entging ihm aber kein schön geformter Stein am Wegesrand, keine frisch erblühte Pflanze, schon gar nicht eine Katze oder ein Eichhörnchen. Und natürlich fand er jeden Zigarettenstummel und jedes Plastikpapierchen. Wir haben mit ihm geschimpft, weil er so langsam war. Er passte nicht in unser enges Zeitkorsett. Beim Frühstück waren wir damit beschäftigt, was bei der Arbeit ansteht. Am Arbeitsplatz waren wir zugeplant mit Workshops und Sitzungen, wir mussten eine Flut an E-Mails beantworten. Kaum zu Hause, drehten sich die Gedanken ums Essen und den nächsten Tag. Die Zeit raste und wir hinterher. Irgendwann begegnete mir der Spruch: „Wer schnell ans Ziel will, sollte langsam gehen.“ Eine Weisheit von Konfuzius, die so ähnlich viele Religionen weitergeben, denn da ist viel dran. Immer dann, wenn man es eilig hat, geht besonders viel schief. Je mehr man sich beeilt, desto länger scheint alles zu dauern. Und je hektischer man wird, desto schlimmer wird es. Da hilft nur eins: auf die Bremse treten. Pause machen, innehalten. Lernen, den Augenblick zu genießen, achtsam sein für das, was gerade ist. Kurz durchatmen und sich ganz bewusst dazu zwingen, Aufgaben langsamer anzugehen. Kurz und gut: vom schnellen Schritt zurückschalten in den Schlendergang.

Unser Sohn hat seinen Weg übrigens trotzdem gemacht, arbeitet konzentriert und zügig, ist aber ein aufmerksamer Beobachter geblieben, der sich das Schlendern auch heute noch wie selbstverständlich erlaubt. Ohne schlechtes Gewissen. Von seinen Kindern kann man viel lernen!

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