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Einen Orden der Hoffnung
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Einen Orden der Hoffnung

Dr. Ansgar Wucherpfennig
Ein Beitrag von Dr. Ansgar Wucherpfennig, Jesuitenpater, Professor für Neues Testament an der Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt
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„Alle Tage“, so lautet der Titel eines Gedichts von Ingeborg Bachmann aus dem Jahr 1952. Seit einiger Zeit habe ich es auf meinem Schreibtisch liegen. Darin verarbeitet die Dichterin Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg. Der Krieg war 1952 vorbei, schon sieben Jahre lang, aber es war noch kein wirklicher Friede. Vielfach hatten alte Nazis einflussreiche Posten wiederbesetzt. Mit Machtspielen hatten sie sich den alten Einfluss zurückerobert. Das Gedicht von Ingeborg Bachmann beginnt: „Der Krieg wird nicht mehr erklärt, sondern fortgesetzt. Das Unerhörte ist alltäglich geworden.“ Bachmann beschreibt in ihrem Gedicht einen Krieg ohne Waffen, dafür mit viel Geduld und viel Hoffnung. Und zu diesem Kampf ruft sie alle Tage auf. Für diesen Kampf gibt es auch Uniformen und Auszeichnungen, so schreibt Bachmann: „Die Uniform des Tages ist die Geduld, die Auszeichnung der armselige Stern der Hoffnung über dem Herzen.“  Der Stern der Hoffnung, dass es mit totalitären Regimen und Diktaturen endlich mal ein Ende hat, soll am Himmel immer höher steigen.

Ingeborg Bachmanns Gedicht ist nicht bequem, ich habe auch länger gezögert, ob ich es auf meinen Schreibtisch lege und so täglich vor Augen habe. Alle Tage weiter zu kämpfen ist mühselig, gleich ob mit oder ohne Waffen. Ich hätte eigentlich viel mehr Lust, im Frieden die Beine hoch zu legen und die warme Sonne in mein Gesicht scheinen zu lassen. Trotzdem finde ich diesen Stern der Hoffnung eine wunderbare Auszeichnung. Ich wünsche mir, dass ich die Hoffnung nie aufgebe, und irgendwann dafür auch ausgezeichnet werde. 

Ingeborg Bachmann schreibt in ihrem Gedicht auch, wofür man diesen Hoffnungsorden bekommen kann. Zum Beispiel – wie sie sagt – „für den Verrat unwürdiger Geheimnisse.“ Es gibt Geheimnisse, die wert sind, alles dafür einzusetzen, sie nicht zu verraten, zum Beispiel, wenn mir ein guter Freund etwas Wichtiges anvertraut. Aber es gibt auch Geheimnisse, die vollkommen unwürdig sind, dass man über sie schweigt. Im Gegenteil, es wäre viel besser, wenn sie endlich an den Tag kommen. 

Dieser Tage habe ich in den Nachrichten gehört, dass den Demonstranten auf einer Pegida-Demonstration in Dresden eingeschärft wurde, keine Interviews zu geben. Warum sollen sie nicht frei reden können? Ich kann nur hoffen, dass Demonstranten sich auch bei Pegida den kritischen Fragen von Journalisten stellen. Oft verhüllt nämlich ein geheimnisvoller Mantel des Schweigens die Strukturen ungerechter Macht – in der Politik, nicht selten aber leider auch in der Kirche. Wer hingegen offen über unwürdige Geheimnisse spricht, hat sicherlich einen Orden der Hoffnung verdient.

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