Spielräume gewinnen – Coaching mit der Bibel
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Spielräume gewinnen – Coaching mit der Bibel

Rüdiger Kohl
Ein Beitrag von Rüdiger Kohl, Evangelischer Pfarrer, Frankfurt-Bockenheim

Markus ist mit seinem Leben eigentlich ganz zufrieden. Doch eine Sache belastet ihn. Eines Abends erzählt er seiner Frau: „Ich ärgere mich über meine Kollegen. Immer wieder laden sie ihre unerledigten Aufgaben auf meinem Schreibtisch ab. So als stünde da ein Schild: Ich übernehme gerne eure Arbeiten, wenn ihr nicht fertig werdet. Das wird mir zu viel.“ Seine Frau fragt nach: „Und was passiert dann mit dem Unerledigten?“ Markus antwortet: „Offen gesagt: Ich erledige das. Und danach fühle ich mich schlecht.“
Deshalb wendet er sich an einen Coach. Der gibt Seminare, in denen er Menschen helfen will, wenn sie sich über andere oder über Situationen ärgern. Das Besondere: Dieser Coach arbeitet mit Geschichten aus der Bibel. Er ist überzeugt: Gott schenkt immer wieder neue Spielräume. Deshalb erzählt der Coach seinen Klienten gerne eine Befreiungsgeschichte aus der Bibel: Der Weg des Volkes Israel aus der Gefangenschaft in Ägypten. Mit den Bildern dieser Erzählung beschreibt der Coach den Prozess, den wir immer dann durchlaufen, wenn wir innere oder äußere Grenzen im Leben überwinden.
Markus macht momentan seine eigene Ägypten-Erfahrung: Die Kollegen überhäufen ihn mit Aufgaben, und er möchte es allen rechtmachen. So hat er es immer getan. Dann fühlt er sich sicher. Doch wie das Volk Israel in der Bibel hat er die Sehnsucht, sich davon zu befreien. Markus sagt: „Mir reicht es jetzt! Ich bin nicht länger der Depp vom Dienst für andere!“ Er will das ändern, auch wenn er dafür Grenzen überwinden muss.
Auch das Volk Israel in der Bibel kam an eine Grenze, als es aus Ägypten auszog: Hinter dem Volk der Pharao mit seinem Heer. Und vor ihm das rote Meer. Die Israeliten hatten Angst, das rettende Ufer nicht zu erreichen. Auch Markus malt sich den schlimmsten Fall aus: Er hat Angst, dass ihn seine Kollegen schneiden und über ihn lästern, wenn er Nein sagt. Darum hat er bisher immer alles erledigt, was sie auf seinen Schreibtisch gelegt haben. Diese Gedanken türmen sich vor ihm auf wie Wasserfluten.
Sein Coach erzählt die Geschichte aus der Bibel weiter: Mose ist der Anführer der Israeliten. Mit Gottes Hilfe teilt Mose das Wasser des roten Meeres. Das Volk kann trockenen Fußes hindurchziehen. Es erreichte das rettende Ufer. Das macht Markus Mut, durch das Meer seiner Ängste hindurchzugehen. Er möchte seinen Kollegen ihre Unterlagen bei der nächsten Gelegenheit zurückgeben. Und ihnen sagen: „Das ist nicht meine Aufgabe. Wenn ihr Unterstützung braucht, kann ich euch gerne dabei helfen.“
In der Bibel kommt nach dem Auszug aus Ägypten die Wüste. Das biblische Volk Israel muss erst einmal steinige Wege gehen, bis es in das gelobte Land kommt. So geht es auch Markus. Wenn er sein Verhalten ändert, also nicht mehr die unerledigte Arbeit der anderen macht, dann wird er erst einmal in der Wüste landen. Er ist nicht mehr der liebe, nette Kollege, der den anderen immer alles abnimmt. Er muss seine neue Rolle finden. Die Gefahr ist groß, dass er in die alte Gewohnheit zurückfällt. Die Israeliten in der Bibel haben sich sehr bald nach den Fleischtöpfen Ägyptens zurückgesehnt.
Markus versucht anzuwenden, was er in den Seminaren bei seinem Coach über sich gelernt hat. Beim nächsten Treffen erzählt Markus: „Mir geht es gut. Ich sage nicht mehr zu allem Ja und Amen. Ich habe das Gefühl, meine Kollegen respektieren mich mehr als früher. Jedenfalls legen sie mir ihre Sachen nicht mehr einfach auf den Schreibtisch, sondern fragen erst einmal. Und dann kann ich Ja oder Nein dazu sagen.“"

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