Kann man Freude befehlen?
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Kann man Freude befehlen?

Anne-Katrin Helms
Ein Beitrag von Anne-Katrin Helms, Evangelische Pfarrerin, Erlösergemeinde Frankfurt-Oberrad

Eine Frau erzählt: „Ich habe mich entschlossen, nicht die Leute vollzujammern. Als vor 30 Jahren mein Mann starb, dachte ich mir: Ein paar Wochen ertragen die Leute meine Trauer. Aber dann will es keiner mehr hören. Wenn du nicht einsam werden willst, dann beklag dich nicht dauernd.“ Die alte Frau, die das sagte, saß neben mir im Rollstuhl. Ich habe sie am Tag nach ihrem 96. Geburtstag besucht. Sie hatte bis in die Nacht um halb zwei mit 50 Gästen gefeiert. Jetzt öffnet sie die Briefe und Geschenke, die sie zum Geburtstag bekommen hat. Ein paar Gäste sind noch da. Sie räumen gerade die Reste vom Fest auf.
„Ich feiere gerne groß“, sagt die Frau. „Einmal im Jahr gebe ich so viel Geld aus wie sonst nie. Dann lade ich alle ein. Es gibt gutes Essen und wir haben es lustig. Das mache ich schon immer so.“
Ihr Neffe setzt sich zu uns und sagt: „Es ist einfach toll, dass du dich noch an so vielen Dingen freuen kannst. Da macht es Spaß, dir einen schönen Festtag zu gestalten.“
Ich bin platt. Ich erlebe das nicht häufig, dass eine fast Hunderjährige bis in die Puppen feiert. Zugegeben: Der Frau geht es wirklich gut. Ihre Verwandten kümmern sich toll um sie. Sie hat ein Dach über dem Kopf und genügend Geld, um sorgenfrei zu leben. Trotzdem: Auch sie hätte Grund zum Jammern. Sie ist schon so lange Witwe und vermisst ihren Mann. Sie hat Schmerzen in den Gelenken und hält es nur mit Schmerzmitteln und Wärmekissen aus. „Das ist halt so“, meint sie dazu. Die alte Frau hat sich vorgenommen, sich über ihr Leben zu freuen und dankbar zu sein. Und sie ist es auch.

In der Bibel schreibt der Apostel Paulus: „Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus für euch.“ Seid allezeit fröhlich! Kann man Freude befehlen? Paulus tut das. Die Christen, an die er das schreibt, haben es nicht leicht. Einige Leute in ihrer Stadt diskriminieren und schikanieren sie. Als sie den Brief von Paulus lesen, sind sie in einer Krise. „Seid allezeit fröhlich!“
Hilft mir so eine Aufforderung, wenn es mir gerade nicht gut geht?
Ja, mir hilft das. Natürlich brauche ich auch mal einen Ort, an dem ich jammern kann.
Natürlich bin ich nicht immer fröhlich.
Gerade deshalb brauche ich es, dass mir jemand einen Anstoß gibt und mich auffordert, fröhlich zu sein.
Manche Menschen sagen sich ein Mantra vor. Dabei wird ein Wort oder eine Silbe in einer Meditation immer wiederholt. Es soll sich in meinem Leben festsetzen und Wirklichkeit werden. Das gibt es auch im Christentum. Ich habe das ausprobiert. Ich setze mich hin und sage mir vor: „Seid allezeit fröhlich!“ Oder auch nur: „fröhlich“. Das Wort wirkt. Ich muss dabei lächeln. Vielleicht hilft es mir ja zu einem fröhlichen Leben. Ich denke dann dabei an die 96-jährige Frau. Ob ich so alt werden möchte, weiß ich nicht. Aber so fröhlich sein – das möchte ich gern."

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