Denk gegen den Strich!
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Denk gegen den Strich!

Uwe Groß
Ein Beitrag von Uwe Groß, Katholischer Diakon, Pfarrei St. Peter und Paul, Wiesbaden

Mutig sein und sich nicht entmutigen lassen – dazu ruft ein Gedicht von Lothar Zenetti auf. Es geht so: „Was keiner wagt, das sollt ihr wagen, was keiner sagt, das sagt heraus, was keiner denkt, das wagt zu denken, was keiner anfängt, das führt aus.“ Ich habe auch schon die Erfahrung gemacht, wie schön und schwierig es ist, gegen den Strich zu denken, gegen die Mehrheitsmeinung trotzdem etwas zu probieren. Vor einigen Jahren hatte ich mit ein paar Leuten in meiner Gemeinde die Idee, ein Familiencafé für Eltern und Kinder im Westend von Wiesbaden anzubieten. „Das klappt nie, das ist zu teuer, da kommen keine Leute, und schon gar nicht die, die wir erreichen wollten“ - so hieß es. Nach drei Jahren hatten wir es geschafft: Jeden Dienstag kamen mindestens 30 Kinder und Erwachsene zum Familiencafé. Und heute zehn Jahre nach dem Start sind es immer noch so viele. Auch die kirchlich Fernstehenden erreichen wir, weil wir nicht missionieren, sondern als Kirche einfach einen Treffpunkt anbieten.

Lothar Zenettis Gedicht geht weiter: „Wenn keiner „ja“ sagt, sollt ihrs sagen, wenn keiner „nein“ sagt, sagt doch nein, wenn alle zweifeln, wagt zu glauben, wenn alle mittun, steht allein.“ Gegen den Mainstream zu denken und zu glauben, das ist manchmal auch in einer offenen Gesellschaft nicht leicht. Immer wieder werde ich auch von Freunden gefragt: „Warum gehst du eigentlich noch sonntags in die Kirche? Wieso bist du eigentlich noch bei diesem Verein, der anderen Wasser predigt und selber Wein trinkt? Der hohe moralische Ansprüche an andere stellt, sie selber aber oft nicht erfüllt.“ Ich sage dann: „Weil die Kirche trotz aller Dinge, die verbessert werden müssen, meine geistige Heimat ist. Und weil ich in ihr mehr Gutes als Schlechtes erfahren habe.“

Zenetti schreibt weiter: „Wo alle loben, habt Bedenken, wo alle spotten, spottet nicht, wo alle geizen, wagt zu schenken, wo alles dunkel ist, macht Licht.“ Licht in die Dunkelheit bringen, statt über die Dunkelheit zu schimpfen, darin sehe ich heute als Christ meine tägliche Herausforderung. Manchmal ist das bei mir nur eine freundliche Auskunft für einen, der ins Pfarrbüro kommt oder anruft. Manchmal ist es das kleine Schwätzchen mit dem Mann, der zuhause seine Tochter pflegt. Manchmal kommt es auch einfach nur aufs Zuhören an, wenn mir eine Mutter von ihrer zerbrochenen Beziehung zu ihrer Tochter erzählt. Es tut ihr gut, dass ich da bin und ihr zuhöre. Und ich denke an die Zeile im Gedicht von Lothar Zenetti: „Wo alles dunkel ist – macht Licht.“

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