Zerbrochen und ganz – Von einem alten Handwerk, das auch Gottes Handwerk ist
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Zerbrochen und ganz – Von einem alten Handwerk, das auch Gottes Handwerk ist

Dr. Anke Spory
Ein Beitrag von Dr. Anke Spory, Evangelische Pfarrerin, Bad Homburg-Gonzenheim

In Japan gibt es ein traditionelles Handwerk, um gesprungene Keramik zu reparieren. Es heißt Kintsugi. Der Handwerker klebt die Scherben einer Schale nicht einfach nur wieder zusammen und repariert sie. Sondern: In einem langen Arbeitsprozess versieht er die Bruchstücke mit einem besonderen Lack, in den er feinstes Goldpulver gemischt hat. Die Linien des Bruches werden also nicht kaschiert, sondern sogar hervorgehoben. Die Bruchstellen glänzen golden. Sie sind wie Narben, die eine Geschichte erzählen. Eine Kintsugi-Schale zeigt: Ich bin an verschiedenen Stellen gebrochen. Ich habe vieles überstanden. Es hat Mühe und Zeit gekostet, wieder ganz zu werden. Und man wird es immer sehen. Ich bin nicht wie vorher. Aber nun bin ich ganz und kann wieder neu gefüllt werden.
Hinter Kintsugi steht eine besondere Auffassung von Schönheit. Schön ist nicht nur, was makellos ist. Schön ist auch, was vergänglich und fehlerhaft ist. Die japanischen Kintsugi-Handwerker sind überzeugt, dass eine Sache schöner wird, wenn sie Brüche bekommt und eine Geschichte hat. Sie wird durch die vergoldeten Risse noch wertvoller. Die Kintsugi-Handwerker würden es vielleicht so ausdrücken: Eine zerbrochene Tasse ist nicht kaputt, nur anders…und noch besser!
Mir gefällt dieses alte Handwerk und was dahinter steht. Zerbrochenes ganz machen. Dieses alte Handwerk ist auch ein Handwerk Gottes. Im ersten Teil der Bibel in einem Psalm steht: „Gott heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden.“ Für mich heißt das: Gott kennt meine Narben und Brüche. Mein Leben besteht nicht nur aus dem, was heil und ganz ist. Das, was zerbrochen und kaputt gegangen ist, lässt sich nicht rückgängig machen. Das Leben fügt mir Verletzungen zu. Und manchmal entstehen Brüche durch meine eigene Schuld, durch mein Versagen.
Gott heilt meine Verletzungen und Brüche. Gott fügt zusammen und verbindet, was zerbrochen ist. Für mich ist das eine tröstliche Zusage. Sie hilft mir zu akzeptieren, dass ich zerbrechlich und verletzlich bin. Und sie lässt mich hoffen. Auch aus den Scherben kann wieder etwas Brauchbares entstehen.
Für mich ist das eine schöne Vorstellung: Gott heilt meine Brüche mit einem Goldstaub wie ein Kintsugi-Handwerker. Das Zerbrochene bekommt eine neue Form. Die Risse bleiben sichtbar. Ich muss die Beschädigungen nicht verstecken. Sie verändern mich. In der neuen Form ist das Alte immer noch enthalten. Aber durch den Goldstaub entsteht eine neue Gestalt. Zerbrochen und doch ganz. So kann ich leben."

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