Angst überwinden – Brücken bauen
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Angst überwinden – Brücken bauen

Eva Reuter
Ein Beitrag von Eva Reuter, Katholische Pastoralreferentin, Betriebsseelsorge im Bistum Mainz / Regionalstelle Rheinhessen

„Angst überwinden – Brücken bauen!“ Für meine Oma wäre dieser Aufruf der Horror schlechthin gewesen: Brücken bauen zu müssen. Sie hatte Höhenangst. Und deswegen wäre dieser Aufruf für sie eine echte Herausforderung gewesen:

„Angst überwinden – Brücken bauen“, das ist aber nun nicht der Werbeslogan einer Ingenieursfirma. Es ist das Motto der diesjährigen „Woche der Brüderlichkeit“, gestern ist sie in Recklinghausen eröffnet worden.

Seit 1952 veranstalten die Gesellschaften für Christlich- Jüdische Zusammenarbeit jedes Jahr im März die Woche der Brüderlichkeit. In dieser Woche finden Veranstaltungen statt, die auf die Bedeutung des christlich-jüdischen Dialogs aufmerksam machen wollen.

Es geht bei diesen Brücken also nicht um Höhenangst und statische Konstruktionen, sondern um eine Bewegung auf andere Menschen zu und um den Dialog mit einer anderen Kultur. Für uns Deutsche hat der Dialog mit dem Judentum natürlich nach dem Holocaust besonderes Gewicht. Gerade Christinnen und Christen haben da eine besondere Verantwortung gegenüber den Jüdinnen und Juden als ihren älteren Geschwistern im Glauben.

Ich seh beim Thema Brückenschlag aber auch ganz konkrete Brücken vor mir: Brücken bei einer Bergwanderung, von einer Talseite zur anderen, manchmal über einen reißenden Bergbach hinweg. Solche Brücken zu bauen, ist nicht einfach. Brückenbauer müssen furchtlose Menschen sein. Sie kennen das Risiko, sie wissen aber auch, was es für Möglichkeiten gibt, den Graben zu überbrücken. Das gilt für Ingenieure und auch für Dialogpartner.

Für mich hat Brückenbauen auch etwas mit dem Glauben zu tun. Nicht umsonst trägt der Papst in Rom ja auch den Titel „Pontifex maximus“, das heißt übersetzt „großer Brückenbauer“. Der Glaube an einen menschenfreundlichen Gott ebnet für mich den Weg zu fremden Menschen und zu anderen Kulturen. Ich kann in jedem Menschen ein Geschöpf Gottes sehen und mich fragen: Was will mir die Begegnung mit ihr oder ihm sagen? Papst Franziskus gibt hier immer wieder schöne Beispiele, wie wichtig Begegnung ist. Wie oft weicht er vom Protokoll ab, um einzelnen Menschen direkt zu begegnen! Das berührt mich immer wieder.

Begegnung braucht Brücken. Nur wenn ich Brücken baue, kann ich auf die andere Seite gehen. Nur so kann ich den alten Standpunkt aus einem anderen, neuen Blickwinkel betrachten. Brücken bauen ist aber auch schwierig: Wie soll der erste Balken auf die andere Seite gelangen? Wie schaffe ich es, dass die Menschen auf der anderen Seite sich nicht bedroht, sondern besucht fühlen?

Am einfachsten ist es sicher, wenn von beiden Seiten gebaut wird. Man kann sich entgegenkommen, und wenn man zusammenarbeitet, ist der Graben flott überbrückt. Beim Überbrücken alter und tiefer Gräben ist das sicher nicht immer so leicht.

So arbeitet die Gesellschaft für christlich-jüdischen Dialog ja nun auch schon seit über sechzig Jahren daran, dass Juden und Christen miteinander ins Gespräch kommen und im Austausch bleiben über das, was uns bewegt an unserer Geschichte, aber eben besonders auch für unsere Gegenwart und Zukunft.

„Angst überwinden – Brücken bauen“ – das ist ein Motto, das immer wieder und in vielen Zusammenhängen gilt. Ich bin sicher, viele Menschen können das bestätigen: Nach großen Konflikten und wenn Gräben aufgerissen wurden, ist es ein hartes Stück Arbeit, eine Brücke zu bauen, und es braucht Mut, den ersten Balken auf die andere Seite zu schieben!

In einem Psalm heißt es „Mit meinem Gott überspringe ich Mauern“ – für mich lässt sich das auch so formulieren „mit meinem Gott überbrücke ich Gräben“. Mein Glaube stärkt mich, mutig den ersten Schritt zur tun.

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