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Suche Frieden!
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Suche Frieden!

Beate Hirt
Ein Beitrag von Beate Hirt, Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim hr, Frankfurt

„Suche Frieden!“ So lautet das Motto des Katholikentags, der gestern in Münster in Westfalen begonnen hat. Suche Frieden! Das ist ein Zitat aus einem Psalm der Bibel, Psalm 34. Dort heißt es: „Meide das Böse und tu das Gute, suche Frieden und jage ihm nach!“ (Ps 34,15) Eine starke Aufforderung an den Menschen ist das. Schon zweieinhalb tausend Jahre alt und doch so aktuell und dringend. So viel Krieg und Streit herrscht bis heute in der Welt, im Großen wie im Kleinen. „Suche Frieden!“ Beim Katholikentag in Münster werden in diesen Tagen viele Menschen darüber nachdenken und diskutieren, wie das gehen kann: den Frieden zu suchen, den Frieden zu finden, in Frieden zu leben. Auch ich möchte heute in der Morgenfeier an Christi Himmelfahrt über dieses Motto nachdenken: „Suche Frieden!“ Die Aufforderung findet sich nicht nur im Alten, im Ersten Testament. Auch Jesus hat immer wieder dazu aufgefordert, den Frieden zu suchen und friedlich zu leben. „Friede sei mit euch!“ Das hat er seinen Freundinnen und Freunden nach seiner Auferstehung entgegen gerufen (vgl. Johannes 20,19.21.26). „Frieden hinterlasse ich euch“, hat er ihnen zum Abschied mitgegeben, vor seiner Himmelfahrt (vgl. Johannes 14,27) „Peace I Leave With You“, heißt das auf Englisch, Knut Nystedt, ein zeitgenössischer Komponist aus Norwegen, hat diesen Friedensgruß Jesu wunderbar vertont.

„Frieden hinterlasse ich euch!“ Das gibt Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern zum Abschied mit auf den Weg, bevor er gen Himmel fährt. Und doch haben die Menschen in den letzten zwei Jahrtausenden so viel Streit und Krieg erlebt, auch im Namen der christlichen Religion. Dreißig Jahre lang tobte zum Beispiel im 17. Jahrhundert in Europa der Krieg zwischen katholischen und evangelischen Machthabern. In Münster und Osnabrück wurde 1648 endlich Frieden geschlossen, der so genannte Westfälische Frieden. Auch deswegen ist der Friede Thema beim Katholikentag in Münster, der gerade stattfindet. 1618 hatte dieser grässliche Krieg begonnen, also genau vor 400 Jahren. Millionen Menschen sind damals in Europa hingeschlachtet worden oder sind verhungert, an Schwäche oder Pest gestorben. Wie furchtbar dieser Krieg gewütet haben muss, das ist mir vor kurzem beim Lesen eines Romans wieder sehr bewusst geworden. „Tyll“, von Daniel Kehlmann. Er beschreibt die Wege Tyll Eulenspiegels durch ein Europa, das von den Religionskriegen völlig verwüstet ist. Er beschreibt den Hunger und den Gestank. Und er beschreibt auch eine Schlacht. Zitat: „Der dicke Graf hörte die Schüsse peitschen, deren Dampf er soeben gesehen hatte, und als Nächstes sah er, wie die Reiter des Feindes, die noch immer auf den Fluss zuhielten, das merkwürdigste Kunststück vollführten. In ihren Reihen waren mit einem Mal Schneisen, eine hier, eine gleich daneben, eine in einigem Abstand. Während er noch seine Augen anstrengte, um zu begreifen, was er sah, hörte er ein Geräusch, wie er es noch nie vernommen hatte, ein Schreien aus der Luft.“ Soweit das Zitat aus Daniel Kehlmanns Roman „Tyll“. Der Krieg ist nichts Sauberes und Theoretisches, bis heute nicht. Er tötet Menschen, auf furchtbare Weise. Ich glaube: Es ist nötig, sich an die Realität des Krieges zu erinnern, wenn man für den Frieden einstehen will. Es ist wichtig, damit man wirklich den Frieden als Gut schätzt und sich für ihn einsetzt. Es ist auch nötig, an die zu erinnern, die im Krieg gestorben sind. Auch die Musik tut das immer wieder. Zum Beispiel im „War requiem“ von Benjamin Britten.

„Dona nobis pacem“, „Gib uns Frieden“, so klingt es im „War requiem“, im „Kries-Requiem“ von Benjamin Britten. Gott sei Dank leben wir in Europa jetzt weitgehend in Frieden, schon seit über siebzig Jahren. Zwischen England und Deutschland oder auch zwischen Frankreich und Deutschland herrscht Frieden, nach so viel furchtbaren Kriegen in vergangenen Jahrhunderten. Vor 100 Jahren, 1918, ist der Erste Weltkrieg zu Ende gegangen, auch in ihm gab es schreckliche Schlachten wie die von Verdun. Vorgestern, am 8. Mai, war der Tag, an dem der Zweite Weltkrieg beendet wurde. An Leid und Tod vor 1945 können sich heute viele noch erinnern. Wer Krieg erlebt hat, für den hat das Motto „Suche Frieden“ sicher einen ganz besonderen Klang.

In Europa herrscht Frieden, in weiten Teilen, der Krieg scheint weit weg. Manchmal aber rückt er mir doch näher. Wenn ich morgens in die Zeitung schaue oder abends die Nachrichten sehe, die Bilder von zerstörten Städten oder verzweifelten Menschen. Oder auch, wenn geflüchtete Menschen, die bei uns leben, von ihren Erlebnissen erzählen. Geflüchtete aus Syrien oder Afghanistan zum Beispiel oder aus Ländern Afrikas. Menschen, deren Häuser zerstört wurden, die Familienangehörige verloren haben, die traumatisiert sind von Bomben oder Scharfschützen. Dann rückt der Krieg näher.

Aber die Kriege in der Ferne sind mir auch deswegen nahe, weil sie gar nicht so wenig mit mir, meinem Lebensstil und meinem Wohlstand zu tun haben. Deutschland verdient kräftig mit an den Kriegen dieser Welt. Wir liefern Waffen, auch an Länder, in denen autoritäre Herrscher an der Macht sind und Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Die deutschen Exporte von Kriegswaffen und Rüstungsgütern haben sich in den letzten Jahren verdoppelt. Auch daran muss ich immer wieder denken, wenn Deutschland als Exportland gerühmt wird. Friedensbewegungen setzen sich ein gegen dieses Geschäft mit den Waffen, „Pax Christi“ zum Beispiel, die Internationale Katholische Friedensbewegung. Letztes Jahr bin ich dort Mitglied geworden – ich wollte wenigstens einen kleinen Teil dazu beitragen, dass der Frieden wachsen kann auf dieser Welt. Gegen Waffenexporte die Stimme erheben – das finde ich wichtig.

Aber es gibt noch andere Wege, mich für den Frieden in der Welt einzusetzen. Wege, die noch stärker mit meinem ganz konkreten, individuellen Lebensstil zu tun haben. Kriege werden ja heute auch geführt um Rohstoffe oder Wasser und Boden. Kriege werden geführt, weil der Klimawandel manchen Ländern schon heute die Nahrungsgrundlagen entzieht. Wenn ich das Klima schütze hierzulande, dann stiftet das Frieden auf anderen Kontinenten. Wenn ich aufs Rad steige statt ins Auto, wenn ich weniger Öl und Benzin verbrauche, dann schützt das den Frieden weltweit. Oder: wenn ich weniger konsumiere, also weniger Rohstoffe verbrauche, mir zum Beispiele seltener ein neues Handy oder einen neuen Computer kaufe: Dann trägt das bei zu mehr Frieden und Gerechtigkeit auf dieser Welt. Den globalen Frieden – den will ich auch hier und heute und in meiner Region suchen. Es kommt auf jede Einzelne und jeden Einzelnen an.

Verleih uns Frieden gnädiglich! Gib Frieden, Herr! So singen und beten Christinnen und Christen immer wieder. Für mich gehört es eng zusammen: das Gebet um den Frieden, das Flehen um Frieden zu Gott - und mein eigener Einsatz für den Frieden, das, was mir als Mensch möglich ist. Ich bin froh, dass meine katholische Kirche seit den beiden großen Kriegen im letzten Jahrhundert auch immer mehr den Frieden sucht. Immer kritischer geworden ist gegenüber dem Krieg. Zum Beispiel durch die Internationale Katholische Friedensbewegung „Pax Christi“. Aber auch die Päpste in Rom haben sich in den letzten Jahrzehnten energisch für den Frieden stark gemacht. Ich werde nicht vergessen, wie damals kurz vor Ausbruch des Irakkriegs 2003 Papst Johannes Paul II. mit deutlichen Worten zum Frieden gemahnt hat: „Nein zum Krieg!“ hat der Papst gesagt. „Krieg ist nie unabwendbar. Er ist immer eine Niederlage für die Menschheit.“ Seinen Friedensappell hat er geschlossen mit den Worten: „Alles kann sich ändern. Es hängt von jedem Einzelnen von uns ab.“ (Neujahrsansprache 2002 an das Diplomatische Korps)

Oft verhallen Friedensappelle, und Friedensinitiativen sind erfolglos. Aber: Es passiert auch immer wieder, dass Frieden sich durchsetzt. Dass Frieden wirklich wächst. In Münster beim Katholikentag wird auch der Präsident von Kolumbien erwartet, Juan Manuel Santos. In Kolumbien ist nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs Frieden eingekehrt, Guerilla-Kämpfer geben ihre Waffen ab, Vereinbarungen zwischen Staat und Rebellen wurden getroffen und auch eingehalten. Präsident Santos hat dafür 2016 sogar den Friedensnobelpreis bekommen. Er hat übrigens auch gesagt: Ohne Papst Franziskus hätte dieser Frieden so nicht gelingen können. Vor einiger Zeit habe ich einen Artikel gelesen über den Friedensprozess in Kolumbien, der hat mich beeindruckt. Zwei junge Kolumbianer erzählen darin, wie sie im Krieg gekämpft haben, der eine auf der Seite der FARC-Rebellen, der andere bei den rechten Paramilitärs. Sie haben in diesem grauenhaften Krieg gegeneinander gekämpft, in dem 220.000 Menschen umgekommen sind und sechs Millionen vertrieben wurden. Und jetzt, so zeigt der Artikel, sitzen sie nebeneinander und lachen sich an und umarmen sich. „Wir waren mal Feinde, jetzt sind wir Freunde,“ sagen sie.

Ich finde solche Versöhnungs- und Friedensgeschichten wunderbar - und ermutigend. Frieden ist kein Hirngespinst. Er ist möglich, im Großen wie im Kleinen. Auch im Privaten gibt es das ja immer wieder: dass nach langen Jahren des Streitens oder vielleicht des Schweigens Versöhnung gelingt. Es braucht ja oft nur eine, die den ersten Schritt macht. Ich hab das schon bei Freundinnen erlebt. Und die Freude über den Frieden, die war riesig. „Friede auf Erden“: So heißt auch ein großes Musikstück von Arnold Schönberg.

„Friede auf Erden!“ Das ist auch der Gruß der Engel auf den Feldern von Betlehem. Arnold Schönberg hat ein modernes Gedicht darüber von Conrad Ferdinand Meyer vertont, wir haben gerade den Anfang daraus gehört. Auch dieses Gedicht stellt dann fest: Seit die Engel so sangen, seit der Geburt Jesu haben so viele „blutge Taten“ stattgefunden. Und doch haben dieses Gedicht und diese Musik auch eine Vision. Sie hoffen darauf, dass einst „etwas wie Gerechtigkeit“ weben und wirken wird. „Und ein Reich will sich erbauen, das den Frieden sucht der Erde,“ heißt es da (Conrad Ferndinad Meyer, „Friede auf Erden“, 3. Strophe).

Der Friede ist nicht nur etwas, was wir suchen, weil wir es in der Vergangenheit verloren haben. Der Frieden ist auch etwas, was wir suchen, weil wir uns danach sehnen. Er ist eine Zukunft, eine Utopie, eine Hoffnung. Die Bibel nennt es: Reich Gottes. Das soll wachsen auf der Erde und sich einst durchsetzen, als Reich des Friedens und der Gerechtigkeit. Es ist wichtig, mir diesen Frieden auszumalen, ihn mir vor Augen zu stellen. Die Bibel tut das immer wieder. Sie beschreibt: Einst werden Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet und Lanzen zu Winzermessern (vgl. Micha 4,3). Oder: „Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal.“ (Offenbarung 21,5) So heißt es beim Propheten Micha und beim Seher Johannes. Und ich male mir aus: Wie das wohl wäre: Wenn Süd- und Nordkoreaner auf der Grenze jubeln und sich umarmen würden, wie einst wir Deutsche auf der Mauer in Berlin. Wie das wäre: Wenn in Syrien endlich wieder alle Kinder sorglos vor ihren Häusern spielen und in die Schule gehen könnten. Oder wie das wäre: Wenn die Verwandten, die seit Jahren kein Wort mehr miteinander reden, wieder am Kaffeetisch zusammen sitzen würden. Manchmal kommen mir die Tränen bei solchen Visionen. Aber solche Zukunftsbilder: Die geben auch Kraft, sie treiben einen an.

Tränen in die Augen bekomme ich manchmal auch, wenn ich im Agnus Dei, im „Lamm Gottes“ den letzten Gebetsanruf spreche oder singe: Gib uns Frieden, Herr! Großartig vertont hat dieses „Dona nobis pacem“ natürlich Johann Sebastian Bach, in der h-Moll-Messe. Mit diesem Ruf nach Frieden möchte ich meine Morgenfeier an Christi Himmelfahrt schließen. Ich wünsche Ihnen einen friedlichen und gesegneten Feiertag!

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