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Robin Hood auf dem Friedhof

Robin Hood auf dem Friedhof

Christoph Wildfang
Ein Beitrag von Christoph Wildfang, Evangelischer Pfarrer, Arnoldshain
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Manche haben viel, andere wenig. Selbst auf dem Friedhof hören die Unterschiede nicht auf.
Darüber habe ich mit den Konfirmandinnen und Konfirmanden geredet, als wir uns jetzt im November Gräber angeschaut haben. Auch wenn man Preisschilder am Grabstein nicht sieht, sagen die Dekoration und der Stein, überhaupt die Größe des Grabes doch viel. An einem Grab sind wir besonders lange stehen geblieben. Das Grab von Vroni. Die hatte eine gut geführte Gaststätte im Dorf. Hat lecker gekocht. Nun liegt sie hier seit über 20 Jahren unter der Erde. Ihr Grab ist von Gras  überwuchert, total verwildert. Ein richtiger Baum ragt aus dem Grab. Nicht mal den Namen konnte man mehr lesen. Nur ein „V“.

Die Konfis finden das komisch. Die einen Gräber so toll bepflanzt und Vronis Grab so zugewuchert. Da habe ich mich mit den Konfis dran gemacht. Unkraut gejätet, geschnitten. Wir haben Erde geholt, um Vronis Grab neu anzulegen. In den Tagen danach haben die Jugendlichen von selbst noch mal losgelegt. Von schönen schmucken Gräbern genommen und auf die gepflanzt, wo nichts drauf war. Sie kamen sich vor wie Robin Hood auf dem Friedhof.

Viele in der Gemeinde waren entsetzt. Das ist doch Diebstahl, haben sie gesagt. Natürlich ist es falsch, Gräber zu plündern.

In den Tagen danach habe ich mit den Jugendlichen darüber geredet. Wir haben festgestellt: Wir wissen ja gar nicht, was die Gastwirtin Vroni eigentlich selber für ihr Grab wollte. Vielleicht hat sie es sich genauso gewünscht. Zugewachsen mit einem Baum.

Trotzdem haben mich die Konfis beeindruckt. Sie wollten erstmal den Verstorbenen etwas Gutes tun. Die Jugendlichen haben gemerkt, dass ihre Robin-Hood-Aktion nicht richtig war. Dass es sehr unterschiedlich ist, wie Menschen sich ihre letzte Ruhestätte wünschen. Sie haben mich gefragt: „War es denn dann falsch, dass wir Vronis Grab bepflanzt haben?“ Ich antworte: „Ich glaube, so wie ich Vroni gekannt habe, hätte sie sich darüber gefreut.“

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