Das Schweigen der Täter
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Das Schweigen der Täter

Dr. Joachim Schmidt
Ein Beitrag von Dr. Joachim Schmidt, Evangelischer Pfarrer, Darmstadt

Wer gibt schon gerne zu, dass er an etwas schuld ist? Niemand. Deshalb fanden auch fast alle unerhört, was am 19. Oktober 1945 geschah, heute vor 72 Jahren. Seit einem halben Jahr war der Zweite Weltkrieg vorbei, das Land lag in Trümmern. Die Menschen hungerten. Der von den Nazis angezettelte Krieg hatte viele Millionen Tote gekostet. Die Flüchtlingsströme nahmen kein Ende. Alle versuchten, irgendwie zu überleben. Und alle fühlten sich nur als Opfer. Am entsetzlichen Elend der Gegenwart wollte niemand schuld gewesen sein.

Da erklärten evangelische Kirchenmänner in Stuttgart: Wir evangelischen Christen tragen eine Mitschuld an den Verbrechen. Unser Glaube war zu schwach, um nachdrücklicher Widerstand zu leisten. Und wörtlich: „Wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“ Zu den Unterzeichnern gehörte auch der spätere erste Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Martin Niemöller, der unter Hitler sieben Jahre lang im KZ gesessen hatte.

Als die Erklärung bekannt wurde, entwickelte sich ein ungeheurer Sturm an Widerspruch und Empörung. Die Gegenwart war schrecklich genug. Alle mussten leiden. Wozu dann noch über eigene Schuld reden? Von Vaterlandsverrätern die Rede. Erst allmählich setzte ein Umdenken ein.

Es brauchte schließlich eine ganze Generation, bis sich mehr Deutsche eingestanden: Die Nazi-Schergen konnten nur deshalb so wüten, weil sich ihnen zu wenige in den Weg gestellt hatten. Die mutige Erklärung Evangelischer Kirchenmänner legte den Grundstein für neue ökumenische Beziehungen in die Welt – auch für viele Hilfsprogramme, besonders der Amerikaner, die nach dem furchtbaren Krieg einen neuen Anfang möglich machten.

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