
Heute ist einfach ihr Tag
Heute ist mein Tag, hofft sie. Fast jeden Tag hofft sie das. Seit drei Jahren.
Da ging ihre Liebe zu Bruch. Sie hat ihn hinausgeworfen. Erst war Anke froh, dann traurig. Es wurde still um sie. Sie gab sich Mühe, aber das Leben blieb leise. Arbeit, essen, schlafen. Nur mühsam kam Neues. Eine Einladung, ein Grillabend bei den Nachbarn. Alles schön, aber zu wenig. Unter der Oberfläche bleibt Anke traurig. Lebensmut kann man nicht schminken.
Dabei schminkt sie sich gerne. Jeden Morgen, wenn sie zur Arbeit geht. Sorgfältig wählt sie Kleid, Schuhe, Kette. Dann zarte Schminke. Nicht auffällig, aber auch nicht unsichtbar. Es kann ja ihr Tag werden, denkt Anke. Ein prüfender Blick, dann zum Bus. Das Wetter ist gut. Da geht sie früher und setzt sich an die Haltestelle. Dort schaut sie um sich. Nur wer sieht, wird auch gesehen, denkt sie. Es könnte einer kommen, ein Stattlicher, den sie kennt. Der setzt sich zu ihr, sagt Hallo oder so etwas. Zeigt ihr: Du bist mir wichtig. Wichtig sein ist wie den lieben Gott sehen. Am besten wichtig wie sonst nichts. Aber sie sitzt allein an der Haltestelle.
Nur ein kleiner Junge steht da. Anke kennt ihn von der Straße. Elf Jahre vielleicht, schwarze Haare, schwarze Haut. Anke sieht zu ihm. Der Junge lächelt. Anke lächelt zurück. Der Junge nimmt seinen Ranzen vom Boden und setzt sich neben sie. Kein Wort fällt. Kein Lächeln mehr. Die Augen sehen sich und bleiben ernst. Warum auch immer. Vielleicht aus Mangel, wer weiß. Der Junge nimmt seine Hand und legt sie auf die Hand von Anke. Einfach so. Im Bus dann sitzen sie nebeneinander. Wie von selbst geht das. Heute ist einfach ihr Tag.