Die Opferung des Isaak
Bildquelle Pixabay

Die Opferung des Isaak

Dr. Ursula Schoen
Ein Beitrag von Dr. Ursula Schoen, Prodekanin, Evangelisches Stadtdekanat Frankfurt

Es gibt Geschichten in der Bibel, die sind nicht nur schwer zu verstehen. Sie verstören und verschrecken. Eine solche Geschichte steht im Alten Testament, im 1. Buch Mose (Kapitel 22). Da wird erzählt:

Abraham war ein frommer Mann. Er vertraute Gott und folgte Gottes Willen. Trotzdem will Gott Abrahams Vertrauen auf die Probe stellen. Gott fordert ihn auf, seinen einzigen und lange ersehnten Sohn Isaak zu opfern. Gott sagt: „Nimm deinen Sohn. Deinen einzigen, der dir ans Herz gewachsen ist, den Isaak! Geh mit ihm ins Land Morija. Opfere ihn mir dort!“ Abraham macht sich tatsächlich mit seinem Sohn auf den Weg. Endlich am Ziel steigt er mit seinem Sohn auf einen Berg, um ihn dort zu opfern. Isaak weiß nicht, was mit ihm geschehen soll. Er fragt seinen Vater voller Vertrauen: Vater, wo ist das Schaf, das wir opfern wollen? Abraham gibt ihm keine klare Antwort. Er fesselt seinen Sohn und legt ihn auf die Opferstelle. Gerade als er das Messer ansetzen will, hört er die Stimme Gottes:

„Halt! Tu dem Jungen nichts! Jetzt weiß ich, dass du mir gehorchst. Du warst bereit, für mich Deinen einzigen Sohn zu geben.“ Das ist wirklich harte Kost! Gott selbst fordert Abraham auf, sein Liebstes herzugeben, sein einziges Kind. In einem unmenschlichen Test soll der Glauben gegen ein Menschenleben gewogen werden. Abrahams Treue zu Gott soll mehr Gewicht haben als das Leben seines einzigen Kinds.

Was Gott hier fordert, ist völlig unverständlich. Dunkel und grausam erscheint er in dieser Geschichte. Was ist das für ein Gott? Und was ist das für ein Vater, der bereit ist, sein Kind zu opfern? Damit werde ich nicht fertig.

Was hier erzählt wird, ist uns eigentlich gar nicht fremd. Jeder von uns will sich doch gelegentlich unter Beweis stellen. Da geraten die anderen oft aus dem Blick. Sie werden zu Opfern unserer Eigeninteressen. Solche Geschichte kenne ich aus dem Alltag, im Büro, in der Schulklasse, in der Liebesbeziehung. Alle finden die neue Mitschülerin blöd. Wer nicht mitmacht, fürchtet, selber zum Opfer des Spotts zu werden. Also lästern sie mit. Die Kollegin will sich bei der Chefin lieb Kind machen. Da kommt es schon mal gut, wenn sie mit ihr über die anderen Kollegen herzieht. Wie der sich wieder angestellt hat! Die kann’s einfach nicht. Die anderen werden ausgegrenzt, geopfert, damit wir groß rauskommen.

Menschen können grausam sein. Manchmal bewusst und gezielt. Manchmal nur, weil sie mitmachen, was die anderen tun. In der Geschichte von Abraham und Isaak kriegt Gott gewissermaßen im letzten Moment noch die Kurve. Er stoppt das Experiment. Er geht nicht bis zum Letzten. Der Problemkandidat dieser biblischen Geschichte ist daher nicht nur Gott, sondern vor allem Abraham. Er ist bereit, bis zum bitteren Ende zu gehen, um vor Gott groß rauszukommen. Da sagt Gott: Halt!

Warum tut er das? Aus Güte oder weil der Test erfolgreich war? In der Geschichte bleibt das offen. Im wahren Leben oft auch. Ich finde vor allem wichtig, dass einer „Halt!“ ruft, wenn Menschen zu Opfern werden.
 

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren