Erzähl' mir doch (nichts)!
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Erzähl' mir doch (nichts)!

Dr. Peter Kristen
Ein Beitrag von Dr. Peter Kristen, Evangelischer Pfarrer und Studienleiter, Religionspädagogisches Institut Darmstadt

„Erzähl’ mir doch nichts“, sagt mein Kollege und zieht eine Augenbraue hoch. Da klingt Zweifel mit. Er glaubt mir nicht. Was ich ihm erzähle, hält er für geflunkert, oder zumindest für einen Scherz, auf den er nicht reinfallen will. Wahr kann es jedenfalls nicht sein, meint er. „Erzähl’ mir doch nichts“.

Ganz anders bei mir zuhause: „Erzähl uns doch was, erzähl uns eine Geschichte“, haben meine Töchter oft gebeten. „Klar“, hab ich gesagt, wovon soll sie denn handeln? Dabei wollten sie mit unter die Bettdecke kriechen, meine vertraute Stimme hören und meinen Herzschlag spüren. Sie wollten das Vergnügen haben, sich meine Geschichte im Kopf selbst auszumalen und sich in sie verwickeln zu lassen. Wissenschaftlich korrekt, nachprüfbar und beweisbar mussten meine Geschichten nicht sein. Kinder spüren noch: Erzählte Geschichten haben ihre eigene Wahrheit.

Erzählen ist auch ein Mittel der Religion. In Abraham und Saras Zelt hat kein Schreibtisch gestanden. Dort wurde erzählt. Gäste haben von ihrer Reise erzählt, und wenn die Frauen mit ihrem kleinen Mühlsteinen Mehl gemahlen haben, haben sie den Kindern die Glaubensgeschichten ihres Volkes erzählt, die wir heute in der Bibel finden. Aufgeschrieben wurden sie erst viel später.

Auch wer Gott ist, kann nicht erklärt werden oder bewiesen, sondern nur erzählt. Jesus hat den Menschen von Gottes Herrschaft in Gleichnissen und Wundergeschichten erzählt. Die Menschen sollten sich hinein verwickeln lassen in die Geschichten, ihre eigene Wahrheit erleben und sie weitererzählen. So konnten sie damals und können sie heute erleben, wie Gott ist.

Der Glaube lebt von Geschichten. Wer heute Glaubensgeschichten erzählt, gibt oft etwas weiter, für das er nicht garantieren kann, das ihm aber kostbar ist. Wenn Menschen aus der Erinnerung ihre eigene Lebensgeschichten erzählen, machen sie ihre Vergangenheit für die heutigen Zuhörer lebendig. Für sie selbst kann das heilsam sein.

Sicher, manche Informationen müssen wissenschaftlich korrekt, nachprüfbar und beweisbar sein. Da gilt: „Erzähl’ mir doch nichts“. Aber da gibt es auch einen wichtigen Bereich im Leben, der hat seine eigene Wahrheit und für den gilt: Komm, Erzähl mir was!

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