Mit Popsongs auf Sinnsuche: Protest!
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Mit Popsongs auf Sinnsuche: Protest!

Johannes Meier
Ein Beitrag von Johannes Meier, Evangelischer Pfarrer und Journalist, Kassel

Von Brücken: Blendgranaten

Kennen Sie die noch, diese großen Stero-Musikanlagen mit ihren möglichst fetten Boxentürmen, die jedenfalls zu meiner Jugendzeit in jedes anständige Teenyzimmer hineingehörten? Mühsam zusammengespart oder stolz erstanden vom Geldsegen anlässlich der Konfirmation. Wenn ich dann nach einem anstrengend bis ätzenden Schultag nach Hause kam und das Mittagessen am Familientisch überstanden hatte („Na, wie wars heute in der Schule?“) – dann gab’s doch nichts Besseres, als endlich die Tür vom eigenen Zimmer hinter sich zuzuschlagen und die Mukke aufzudrehen. Und zwar so richtig schön laut!

Musik 1:

All ihr Dichter und Denker
Ihr Richter und Henker
Ihr grauen Herren
All ihr stumpfen Zeitverschwender
Oh ihr Lebensbeender
Ihr traurigen Gestalter
Ihr herzzerreißend, herzlosen Befindlichkeitsverwalter

Autor 2:

„Mach Deinen Krach gefälligst leiser!“, hieß es dann meistens. Aber die hatten eben einfach keine Ahnung! Mal so richtig schön Dampf ablassen mit lauter, wütender Musik, das tat und das tut auch heute noch gut. Und, sorry, das geht leider nicht in Zimmerlautstärke! – Als Jugendlicher war mir oft gar nicht klar, worauf genau ich gerade wütend war, woher der Dampf kam, der raus musste. Das geht mir auch heute noch so, wenn ich mit lauter Musik auf den Ohren ne Runde laufen gehe. Einfach mal den Kopf freikriegen...

Manchmal aber weiß ich ganz genau, was oder wer mich ärgert und wütend macht. Genau wie Nicholas Müller, der als Frontmann seiner Band „Von Brücken“ hier mit intelligenten Wortspielen und lauten Gitarren zornig gegen alle Rechtsextremisten, AFD-Wähler und Pegida-Mitläufer protestiert:

Musik 2:

All ihr furchtlosen Töser
Ihr problemlosen Löser
Ihr braun gefärbten
All ihr tumben Volksgehetzten
Ihr im Stolz verletzten
Ihr Verschwörungsgestörten
In der Höllebrater, wären sie, wo sie hingehörten

Ihr larmoyanten Adjutanten
Habt Angst vor allem Unbekannten
Ihr Eigenhautretter
Ihr Teufelsvertreter

Ein zorniger Song gegen die Wutbürger – so nennen sich die PEGIDA- und AfD-Anhänger ja gerne selbst. Ob auf der Straße in Dresden oder anderswo, ob online in Facebook-Kommentaren oder Twitter-Tiraden – ihren Ärger und ihre Meinung, ihren Frust und ihre Verachtung brüllen die ja gerne völlig scham- und rücksichtslos heraus. Aber jetzt wird eben mal zurückgegrölt – und „Von Brücken“ machen das zwar ebenso laut, aber keineswegs platt. Im Gegenteil: Es lohnt sich genau hinzuhören, in welche herrlich bösen Wortspielereien Nicholas Müller seinen Protest gegen die Protestler kleidet: „Herzzerreißend herzlose Befindlichkeitsverwalter“ nennt er die, die etwa ihre eigenen Sorgen selbstverständlich viel wichtiger nehmen, als die Todesangst der Geflüchteten. Für den Sänger sind solche Leute bloß „Eigenhautretter, ihr Teufelsvertreter!“ – Hier haut einer voll auf die Zwölf, das sitzt. Und ich finde: „Das wird man ja wohl noch einmal sagen dürfen!“

Um es mit den Worten eben jener „Volksgehetzten“ und „Verstörungsgestörten“ auszudrücken. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Aber wenn ich mal wieder die rechte Stammtischrhetorik mancher Politiker in einer Talkrunde oder wirres Nazi-Geschwurbel im Internet ertragen muss, wenn ich die menschenverachtenden Parolen auf PEGIDA-Plakaten lese und Anti-Demokraten „Wir sind das Volk“ brüllen höre, dann möchte ich mich am liebsten wie früher in mein Zimmer einschließen und diesen Protestsong aufdrehen, bis die Nachbarn die Polizei rufen. Differenziert bin ich dann meinetwegen morgen wieder.

Musik 3:

Ihr marschiert im Rückschritt
Mit Hass an den Sohlen
Ihr baut ein Zuhause aus Schutt
Ihr seid Blendgranaten
Voller leerer Parolen
Und ihr baut mein Zuhause kaputt

„Blendgranaten“ heißt dieser Protestsong der Band „Von Brücken“. Militärisch sind solche Dinger ja wohl vor allem dazu da, den Gegner eben zu blenden, so dass er den Überblick verliert und nicht mehr klar sehen kann. „Ihr seid Blendgranaten voller leerer Parolen“, brüllt Sänger Nicholas Müller die im Rückschritt Marschierenden an – und trifft damit genau den Kern dessen, was etwa die AfD-Rhetorik ausmacht: Verkürzen, vereinfachen, die falschen Zusammenhänge herstellen, übertreiben, lügen, blenden. Und wenn man dabei erwischt wurde wieder abstreiten, beschwichtigen, dementieren. Jedenfalls keine Lösungen benennen, sondern die Probleme noch größer reden. Angst schüren.

Musik 4:

All ihr wütenden Bürger
Ihr Parolenauswürger
Ihr schwarzen Seelen
All ihr tauben Faktenverneiner
Oh ihr Kissenvollweiner
Ihr guten-Abendländler
Ihr benachteiligten Zweck-heiligt-die Mittelständler


Ihr larmoyanten Adjutanten
Habt Angst vor allem Unbekannten
Ihr Eigenhautretter
Ihr Teufelsvertreter
 

Ihr marschiert im Rückschritt
Mit Hass an den Sohlen
Ihr baut ein Zuhause aus Schutt
Ihr seid Blendgranaten
Voller leerer Parolen
Und ihr baut mein Zuhause kaputt

Ich kann mich gar nicht satt hören an all den bösen Wortneuschöpfungen, mit denen dieser Song die „wütenden Bürger“ so zielsicher treffend beschimpft als „Parolenauswürger“, „Eigenhautretter“ und „Teufelsvertreter“. Das reimt sich genauso prima wie die „guten-Abendländler“ auf die „benachteiligten Zweck-heiligt-die-Mittelständler“.

Aber, bei allem Spaß an bissiger Sprache: Darf man das? So über andere Menschen herziehen? Hilft das wirklich weiter? – Zugegeben: Dieser Protestsong schlägt keinen Ton an, der zu einer differenzierten Diskussion einlädt. Das hier ist nicht der Soundtrack für eine politisch-korrekte Podiumsrunde auf dem Kirchentag.

Aber wie heißt schon in der Bibel: „Alles hat seine Zeit.“ Auch das Streiten. Und es gibt eben auch einen heiligen Zorn, der übrigens sogar den sonst so friedvollen Jesus mal ergreifen konnte: Als der beim Besuch des Tempels in Jerusalem feststellen muss, dass hier anscheinend nicht mehr das Gebet und der Gottesdienst an erster Stelle stehen, sondern eher das Geschäft mit Devotionalien und Opfergaben, wird er wütend. Und statt erst lange verständnisvoll zu diskutieren, schreitet er lieber zur Tat und wirft die Händler und Geldwechsler eigenhändig hochkant hinaus: „Mein Haus soll ein Bethaus heißen für alle Völker, ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht!“ schreit Jesus ihnen hinterher.

Mit seinem heiligen Zorn will er keine Angst schüren. Er will den Tempel wieder zu einem freien Raum machen, in dem Menschen mit Gott in Beziehung treten und frei ihren Glauben leben können.

„Ihr baut mein Zuhause kaputt“, brüllt Nicholas Müller in seinem Protestsong alle jene an, die mit ihrer Angst und Engstirnigkeit unsere Demokratie gefährden und mit ihrer aufgeblasenen Intoleranz und Respektlosigkeit unserer Zusammenleben vergiften.

Heiliger Zorn – das ist eine Leidenschaft für das Gute und Richtige. Eine Leidenschaft für Menschlichkeit, für die Schwachen, für Solidarität und Hoffnung. Und eine solche Leidenschaft ist eben nicht zerstörerisch, wie der Fremdenhass der Blendgranaten-Protestler, sondern konstruktiv und voller Lebensenergie. Eben weil sie den Menschenfeinden mutig und entschlossen und – klar, das gehört dazu: lautstark entgegentritt.

Musik: 5

Ihr marschiert im Rückschritt
Mit Hass an den Sohlen
Ihr baut ein Zuhause aus Schutt
Ihr seid Blendgranaten
Voller leerer Parolen
Und ihr baut mein Zuhause kaputt

Und dann scheint es fast so, als würde sich Sänger Nicholas Müller doch noch etwas einkriegen und auch ein wenig Verständnis zeigen...

Musik 6

Ja, ich hab Erfahrung
Gut, dass du mich fragst
Hast du schlimme Angst vor Dingen
Die nicht da sind
Dann geh damit zum Arzt

Ich bin so überbefremdet
Ihr seid so überbefremdlich

Nicholas kennt sich wirklich aus mit irrationalen Ängsten: Er leidet unter einer psychischen Angst-Störung und geht offen damit um. Doch wer krank ist, soll halt wie er zum Arzt gehen – und nicht auf der Straße gegen Ausländer hetzen. 1:0 für den Protestrocker!

Musik 6

Ihr marschiert im Rückschritt
Mit Hass an den Sohlen
Ihr baut ein Zuhause aus Schutt
Ihr seid Blendgranaten
Voller leerer Parolen
Und ihr baut mein Zuhause kaputt

Ihr marschiert im Rückschritt
Mit Hass an den Sohlen
Ihr baut ein Zuhause aus Schutt
Ihr seid Blendgranaten
Voller leerer Parolen
Und ihr baut mein Zuhause kaputt

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