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Mit Popsongs auf Sinnsuche: Protest!
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Mit Popsongs auf Sinnsuche: Protest!

Stephan Krebs
Ein Beitrag von Stephan Krebs, Evangelischer Pfarrer, Langen

Sommer in der Stadt. Genauer gesagt in Berlin, wo sich die Jugend der Welt trifft um Party zu machen. Eine Gruppe junger Leute zieht ausgelassen durch die Stadt, die Mädels cruisen mit einem großen, amerikanischen Cabriolet durch die Straßen, die Jungs düsen mit Skateboards über Bürgersteige und Mauerkanten.

Das zeigt ein Musikvideo. Dazu spielt es eine fröhlich-hüpfende Melodie. Die jungen Leute haben sichtlich Spaß und auch allerlei Unsinn im Kopf. Aber was auf den ersten Blick wie ein heiterer und belangloser Sommerreigen daherkommt, entpuppt sich nach und nach als tiefgründige Frage nach dem Leben – und als Protest gegen Gott. In dem Musikvideo malen sich die jungen Leute bunte Totenkopf-Masken über ihre Gesichter. Damit sehen sie aus wie eine Mischung aus Blumenkinder-Hippies und düstern Gothic-Gestalten. Solche bunten Totenkopfmasken kleben sie dann auch auf Laternenmasten und sprühen sie auf Häuserwände. Dazu erklingt immer weiter diese fröhliche Melodie, gesungen von einer zarten, jungen Frauenstimme. Der Song heißt „Prayer in C“, also „Gebet in C“ und stammt von dem Duo Lilly Wood & The Prick. Sie landeten damit den Sommerhit des Jahres 2014. Unzählige Köpfe haben dazu fröhlich genickt und Füße haben dazu gewippt. Kaum jemand hat dabei gemerkt, dass die Sängerin sich hier eigentlich mit einem todernsten Thema direkt an Gott wendet.

Yah, du hast nie ein Wort gesagt. Du hast mir niemals einen Brief geschickt. Glaube nicht, dass ich dir vergeben könnte. Schau, wie unsere Welt langsam vergeht. Ich werde keine Zeit mehr verschwenden. Glaube nicht, dass ich dir glauben könnte.

Die Sängerin dieses Songs, Lilly Wood, vor 30 Jahren in Tel Aviv in Israel geboren, wendet sich an direkt an Gott. Sie beschimpft ihn, den schweigenden Gott wie eine verschmähte Verliebte, deren Briefe nie beantwortet wurden. Aber es geht um noch weit mehr als eine unglückliche Liebe. Es geht um die ganze Welt. Sie ist dabei kaputt zu gehen. Dieser fröhlich-harmlos daherkommende Sommerhit steckt voller Angst, Wut und einer düsterer Endzeitstimmung. Die Sängerin sagt sich von Gott los – alles nur Zeitverschwendung. Sie sagt nicht, was sie machen wird. Aber das Video gibt eine Antwort: Party. Eine Party am Abgrund, unbändiger Lebenshunger als Antwort auf die gefährdete Welt. Das Motto lautet: You only live once, auf SMS- Kurzform gebracht: Yolo. Manche erkennen darin ein altes lateinisches Motto wieder: „Carpe diem“, nutze den Tag. Es hat auch in der Bibel seinen Niederschlag gefunden. Dort empfiehlt der Prediger Salomo: „Überlass Gott die Welt. Genieß du das Leben. Etwas Besseres kannst du ohnehin nicht tun.“ (Prediger 3,12 ff)

Das klingt nach Genuss, doch der hat einen bitteren Geschmack, denn ihm fehlt die Hoffnung, die Zukunft. Die Welt steht am Abgrund. Und niemand scheint sie retten zu können. So zeigt sich: Die fröhliche Partyjugend in dem Videoclip ist im Kern tieftraurig. Aber zum Glück nicht nur das. Sie hat auch Power. Sie protestiert, rüttelt auf – sie tanzt ihre Totenkopf-Graffitis in die Straßen von Berlin. Party trifft Protest. Der Song dazu geht Gott hart an: „Glaub bloß nicht, Gott, dass ich dir jemals vergeben werde.“

Unsere Hände werden faltiger und unsere Haare werden grau sein. Glaube nicht, dass ich dir vergeben könnte. Und schau hin, wie die Kinder hungern. Und ihre Häuser werden zerstört. Glaube nicht, dass ich dir vergeben könnte.

Irgendwie ist das eine verkehrte Welt. Normalerweise bitten Gläubige Gott um Vergebung, sie hoffen auf seine Zuwendung und sehnen sich nach seiner Liebe. Doch in dem Song ist es umgekehrt. Da kündigt die Sängerin Lilly Wood die Liebe auf. Sie ist es, die Gott jegliches Erbarmen verweigert. Aber eigenartig: Sie zeigt ihm zwar die kalte Schulter, aber zugleich wendet sich ihm auch zu. Eindringlich appelliert sie an Gott: „Schau hin, wie die Kinder hungern und wie die Städte zerfallen.“ Damit will sie Gott offenbar aufrütteln, quasi mit der Nase auf das Elend stoßen, denn sie hat den Eindruck, das alles kümmere Gott gar nicht. Die Sängerin sagt zwar: Ich bin hoffnungslos. Doch sie handelt voller Hoffnung.

So geht es vielen mit Gott: Ziemlich durcheinander. Einerseits kann man gar nicht glauben, dass es einen Gott überhaupt gibt. Andererseits wünscht man sich sehnlichst einen herbei, der diese Welt in Ordnung bringt, der das Leiden lindert. Irgendwie sind da die Rollen ins Rollen geraten. Mal wird Gott als allmächtiger Weltenherrscher gedacht, dem alles Leben unterworfen ist. Mal wird Gott als ein Dienstleister gedacht, den man jederzeit herbeizitieren kann. Als könne man ihn mit der Reparatur der Welt beauftragen. Dazu passend erscheint der Mensch: Mal als hilfloses Wesen, das ganz auf den Schutz des Allmächtigen angewiesen ist. Mal als Auftraggeber, der Gott für seine schlechte Arbeit zurechtweisen kann. Ganz schön unklar, wer hier wer ist.

Auffällig daran ist: Wenn etwas nicht gut läuft, dann ist immer klar, wer daran Schuld ist: Gott natürlich. Sehr praktisch. Aber doch zu wenig. Menschen müssen schon mitmachen bei der Rettung der Welt. Da gibt es einiges zu tun, und dazu kann jeder etwas beitragen. Ja, jeder muss etwas beitragen, um das Weltklima zu stabilisieren, um hungernde Kinder zu ernähren, um Menschen eine sichere Bleibe zu ermöglichen. Und manches mehr. Da ist vieles möglich. Kleine Leute können kleine Dinge tun, große Leute große. Insofern muss sich der Protest des Songs an die eigene Nase fassen. Ich finde: Er muss auch ein Protest gegen die Gleichgültigkeit vieler Menschen sein.

Aber wer die Welt ein wenig kennt, weiß auch eines nur zu gut: Selbst mit vereinten Kräften gelänge es nicht, das alles zu stemmen, auch beim besten Willen nicht. Diese Aufgabe ist zu groß. Deshalb ist es verständlich, dass sich viele Leute überfordert oder sogar hilflos fühlen. Der Song „Prayer in C“ spricht das aus. Er ruft nach Gott, ja, er protestiert ihn geradezu herbei.

Hey, wenn die Meere die Länder bedecken und wenn es die Menschen nicht mehr gibt, glaub bloß nicht, dass du dir das vergeben kannst. Yah, wenn es nur noch Schweigen gibt und alles Leben vorüber ist, glaub nicht, du würdest dir das vergeben.

Die Sängerin Lilly Wood zieht hier ihre letzte Karte. Sie denkt vom Ende her, wenn alles zu spät ist. Die Welt ist vergangen, das Leben erloschen. Dann gibt es nur noch Gott. Nur noch er selbst kann sich verzeihen, dass er nicht brennender geliebt und nicht tatkräftiger gerettet hat. Aber das wird er nicht können, orakelt der Song. Denn es wäre unverzeihlich, die schöne Welt, die großartige Schöpfung so aufgegeben zu haben.
In diesen Song packt die Sängerin ihre ganze Enttäuschung über Gott, der schweigt, der nichts tut. Eigentlich hatte sie von Gott anderes erwartet: Liebe Zuwendung, Schutz. Davon erzählt die Bibel doch immer wieder. Zum Beispiel der Psalm 62: „Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft. Denn er ist mein Fels, meine Hilfe, mein Schutz, dass ich gewiss nicht wanken werde.“ So haben schon viele Gott erfahren: Gott liegt die Welt am Herzen, Gott kümmert sich, Gott ist bei den Menschen. Wirklich? Ist er auch bei den Kindern, die hungern? Bei den Armen, die leiden? Und bei den Alten, die sich auf den Tod vorbereiten? Das sind Fragen, die am Gottesideal kratzen. Sie kratzen aber auch am Selbstideal des Menschen: Der Mensch, dem die Welt am Herzen liegt. Der sich kümmert. Der bei denen ist, die hungern, die leiden und Angst haben. So leben enttäuschend wenige.

Prayer in C, Gebet in C – dieser Song steckt voller Ideale und deren Enttäuschung. Musikalisch klingt er zart und melancholisch. Der Text auf harsch und bitter. Ich höre ihn als letzten Aufruf: Gott, erinnere dich an deine Liebe – erinnere dich an uns! Es ist ein Protest gegen das Verlassen-Sein. Ich finde das gut, denn wer protestiert, hat noch Hoffnung. Lilly Wood & The Prick tun das mit einem bunten und zugleich düsteren Protestsong, getrieben von einem jungem Lebenshunger: You only live once, Du lebst nur einmal – das ist nicht nur der Slogan einer erlebnishungrigen Jugend, die ratlos am Abgrund entlang tanzt. Darin steckt auch der Wert, den Gott allem Leben zugesprochen hat. Du lebst nur einmal. Hüte es und mach was draus. Alles was du tust, zählt. Du zählst.

Prayer in C:
Lilly Wood & The Prick
Autoren: Benjamin Cotto, Nili Hadida
Album: Invincible Friends, 2010

Yah, you never said a word,
you didn’t send me no letter.
Don’t think I could forgive you.
See, our world is slowly dying.
I’m no wasting no more time.
Don’t think I could believe you.

Yah, you never said a word,
you didn’t send me no letter.
Don’t think I could forgive you.
See, our world is slowly dying.
I’m no wasting no more time.
Don’t think I could believe you.

Yah, our hands will get more wrinkled
and our hair it will be gray.
Don’t think I could forgive you.
And see the children are starving
and their houses were destroyed.
Don’t think I could forgive you.

Hey, when seas will cover lands
and when men will be no more,
don’t think you can forgive you.
Yah when no just be silence
and when the life will be over
don’t think you would forgive you

Yah, you never say a word,
you didn’t send me no letter.
Don’t think I could forgive you.
See, our world is slowly dying,
I’m no wasting no more time.
Don’t think I could believe you.

Yah, you never say a word,
you didn’t send me no letter.
Don’t think I could forgive you.
See, our world is slowly dying,
I’m no wasting no more time.
Don’t think I could believe you.

Yah, our hands will get more wrinkled
and our hair it will be gray.
Don’t think I could forgive you.
And see the children are starving
and their houses were destroyed.
Don’t think I could forgive you.

Hey, when seas will cover lands
and when men will be no more
don’t think you can forgive you.
Yah when no just be silence
and when the life will be over.
Don’t think you would forgive you

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