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Exodus

Exodus

Michael Tönges-Braungart
Ein Beitrag von Michael Tönges-Braungart, Evangelischer Pfarrer, Bad Homburg

Am 11. Juli 1947 stach in Marseille ein altersschwacher Dampfer in See mit über 4.500 jüdischen Flüchtlingen an Bord, darunter mehreren Hundert Kindern. Sie hatten ein Ziel: Palästina. Dort wollten sie ein neues Leben anfangen, nachdem sie dem Holocaust entronnen waren. Auf hoher See gaben sie dem Schiff einen neuen Namen: „Exodus“ – zur Erinnerung an den Auszug des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten – ins verheißene Land.

Gechartert war das Schiff von einer jüdischen Organisation, die auf die Gründung des Staates Israel hinarbeitete. Palästina war damals britisches Mandatsgebiet. Um die Lage dort nicht zu destabilisieren, versuchte die britische Regierung, die illegale jüdische Einwanderung zu verhindern. Die britische Marine enterte etwa 20 Seemeilen vor dem Ziel in Haifa das Schiff. Die Passagiere leisteten solange heftige Gegenwehr, bis die Marinesoldaten Schusswaffen einsetzten. Schließlich wurde die „Exodus“ in den Hafen von Haifa gebracht. Dort wurden nur die Toten und Verletzten an Land gebracht.

Die lebenden Passagiere wurden auf drei andere Schiffe verteilt und zurück nach Deutschland gebracht, nachdem sie sich geweigert hatten, in Frankreich von Bord zu gehen. Sie wollten weiterhin nach Palästina. In Hamburg wurden sie in einem Lager interniert, dessen Grenzen sich erst nach heftigen internationalen Protesten öffneten. Viele schlugen sich danach doch wieder nach Palästina durch und bauten sich dort eine Existenz auf. Das britische Mandat für Palästina wurde nicht verlängert, und 1948 machte die UNO den Weg frei für die Gründung des Staates Israel.

Fast 70 Jahre ist diese Geschichte nun her. Unvorstellbar, dass so etwas heute noch geschehen könnte – hätten viele bis vor wenigen Jahren wohl gedacht. Aber heute sehen wir fast täglich ähnliche Bilder vom Mittelmeer. Nur dass diesmal die Schiffe in andere Richtung fahren, nämlich in Richtung Europa. Und dass es zumeist nur kleine Fischerboote sind, manchmal sogar nur Schlauchboote. Überfüllt mit Verzweifelten, die in der Fahrt übers Mittelmeer ihre einzige Hoffnung sehen, dem Krieg oder dem Elend in ihrer Heimat zu entkommen.

Ich weiß, dass Vorsicht geboten ist bei historischen Parallelen. Ich weiß auch, dass es für die britische Politik damals Gründe für ihr Handeln gab – ebenso wie für die europäische heute. Ich glaube unseren Politikern auch, dass es sie nicht kalt lässt, was sich da auf dem Mittelmeer abspielt. Und ich weiß, dass es für die Flüchtlingsthematik heute keine einfachen Lösungen gibt. Aber es müssen Lösungen gefunden werden. Damit das Elend und das Sterben aufhören. Europa muss etwas gegen die Ursachen der Flucht tun. Und bis dahin kann und muss es mehr Menschen aufnehmen als bisher.

Ich möchte mich an die Bilder von den Flüchtlingsbooten nicht gewöhnen. Und ich will darüber nicht vergessen, was Jesus gesagt hat: „Was ihr getan habt einem von meinen geringsten Geschwistern, das habt ihr mir getan“ (Matthäus 25,40).

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