Nüffe

Nüffe

Dr. Joachim Schmidt
Ein Beitrag von Dr. Joachim Schmidt, Evangelischer Pfarrer, Darmstadt

Beide Backentaschen hat sich das Eichhörnchen vollgestopft und schiebt in aller Eile noch eine Nuss hinterher. Mit großen braunen Knopfaugen schaut es in die Kamera. Ein ganz süßes Tierbild. Aber da hat jemand eine Bildunterschrift dazu gesetzt, als ob das Eichhörnchen ein Mensch wäre. Und der lässt das mampfende Tierchen mit randvollem Schnäuzchen sagen: „Nüffe? Welfe Nüffe?“

Das sieht sehr lustig aus und ist in dieser Kombination so unglaublich menschlich. Ganz frech scheinheilig tun, auch wenn die Sachlage eindeutig anders ist, das bringen nur wir Menschen fertig. Keine Chance, etwas abzustreiten, und wir tun eben es doch, und kein Argument ist zu blöd. Welfe Nüffe?

Ach ja, man soll doch bei der Wahrheit bleiben. Das sagen schließlich alle. Aber klappt‘s? Dutzende Male am Tag biegt man sich doch die Wahrheit ganz flink zurecht, je nach Bedarf. Größer, kleiner, dicker, dünner, links oder rechts. Ohne viel nachzudenken. Einfach aus Gewohnheit. Was nicht passt, wird im Kopf ganz schnell passend gemacht. Logik spielt keine große Rolle. Notfalls nimmt man die gedankliche Brechstange. Welche Nüffe?

Es ist so allgemein üblich und zugleich so dämlich. Denn oft wäre es gar nicht so schwierig, bei der Wahrheit zu bleiben, wenn da nicht die dumme Angewohnheit wäre: Alles soll deutlich schöner aussehen, als es ist. Auch wenn es niemand glaubt: Wir behaupten es einfach mal: Welfe Nüffe?

Und wenn das Eichhörnchen zugeben würde, was sowieso jeder sehen kann? Wenn Sie und ich uns vornehmen würden, mindestens dreimal am Tag innerlich Stopp zu sagen, wenn wir wieder dabei sind, die Wahrheit aufzuhübschen? Was würde passieren? Vermutlich gar nichts. Kein Vorwurf, kein Ärger, keine Strafen. Höchstens Erstaunen. Und vielleicht sogar Achtung, dass da jemand nicht drum herum redet. Sondern die Wahrheit sagt.

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