Der Himmel hat keine Stufen
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Der Himmel hat keine Stufen

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel

Wenn Eva träumt, kann sie laufen. Leichtfüßig, wie eine Elfe. Wenn Eva träumt, ist sie schlank und federleicht. Eine Augenweide. Dabei sitzt sie im Rollstuhl und ist alles andere als leicht. Sie kann sich wenig bewegen und nimmt Medikamente, die dick machen. Beim Essen muss sie aufpassen. Sie spürt nicht mehr, wann sie satt ist. Der Rollstuhl macht ihr Leben leicht. Mit einem Hebelchen bewegt er sich, elektrisch, und Eva gleich mit. Sie kann sogar mit dem Bus in die Stadt. Dort fährt sie auf den Platz vor dem Rathaus und schaut dem Leben der anderen zu. Und träumt.

Wenn Eva träumt, ist alles leicht. Körper, Leben, Essen; einfach alles. Und die Liebe natürlich. Sie hat dann einen Mann und Kinder, vielleicht sogar ein Häuschen mit Garten. Oder eine Wohnung mit Stufen. Stufen fallen gar nicht auf. Eva geht sie im Traum, als wären sie nicht da. Wie jeder Mensch, der nicht daran denkt, wenn er Bordsteine rauf und runter geht. Eva kann das nicht. Sie kann nur da rollen, wo keine Stufen sind. Oder stehen und träumen. Davon, wie leicht das Leben sein könnte und nicht ist. Sie weiß, dass sie träumt. Mit offenen Augen.

Von Familie und Kindergarten, von Urlaub in den Bergen und spazieren am Meer. Nichts davon geht im Leben. Außer träumen.

Eva muss träumen, sonst hält sie es nicht aus. Mit jedem Traum holt sie den Himmel in ihr Leben. Im Himmel ist alles anders. Wie seitenverkehrt. Da werden die Letzten die Ersten sein. Da kann sie hüpfen und klettern und mit ihren Kindern um die Wette laufen. Der Himmel hat keine Stufen. Eva muss träumen, um ihr Leben hell zu machen. Sie will nur eins: heil sein. Unversehrt. Federleicht. Im Traum ist das so. Da schaut sie in den Himmel. In Gottes Herz.

Eva weiß nicht, warum sie krank ist. Sie weiß nur, dass es nicht ewig so ist. Das hält sie lebendig. Lässt sie nach Hause rollen. Weniger essen. Und träumen. Eva hält sich am Himmel fest. Der macht sie tapfer. Sie weiß: Wenn er kommt, wird sie federleicht.

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