Das Bett mit dem Gitter
Das Kind lag im Kinderbett mit einem Gitter drumrum. Es war immer ein bisschen wild im Schlaf, und die Mutter wollte nicht, dass das Kind nachts auf den Boden plumpst. Wenn es ans Schlafen ging, kamen Mutter oder Oma und beteten mit dem Kind. Direkt über dem Bett - da, wo das Kind hinguckte, wenn es lag - hing ein Bild an der Wand. Auf dem Bild war ein Kinderbett mit Gitter, in dem ein Kind lag. Wenn sich das Kind also abends schlafen legte, sah es an der Wand ein Kind im Bett liegen. Und sah noch etwas. Auf dem Bild um das Kinderbett standen vierzehn Engel. Damals konnte das Kind noch nicht zählen, aber natürlich Mutter und Oma. Wenn die keine eigenen Worte beteten, sprachen sie ein Gebet mit den Worten:
Abends, will ich schlafen gehn, / vierzehn Engel um mich stehn:
zwei zu meinen Häupten, / zwei zu meinen Füßen,
zwei zu meiner Rechten, / zwei zu meiner Linken,
zweie die mich decken, / zweie die mich wecken,
zweie die mich weisen zu Himmels Paradeisen.
Jeden Abend sah das Kind auf das Bild und hörte manchmal das Gebet von den vierzehn Engeln, die im Namen Gottes das Kind behüten bei Tag und in der Nacht. Gott und seine Engel wurden so selbstverständlich für das Kind wie atmen und essen.
So war das damals. Und ist es bis heute. Das Kind ist jetzt ein älterer Mann und denkt abends oft an die vierzehn Engel. Das Leben ist anstrengend, ganz gleich, ob man ein Kind ist oder alt. Immer sucht man etwas, was einen behütet. Oder jemanden, der einen an die Hand nimmt und tröstet. Vielleicht die vierzehn Engel, die Gott schickt. Bis heute weiß der Mann, wie das damals war als Kind im Bett mit den vierzehn Engeln auf dem Bild. So wird es auch bleiben. Noch im Sterbebett mit einem Gitter drumrum sieht der Mann sich im Kinderbett liegen, fürchtet sich vor der Dunkelheit und sucht die Hand eines Engels. Die hält er fest, um die Welt leichter loszulassen.
