Die Macht des Wortes: Philipp Scheidemann

Die Macht des Wortes: Philipp Scheidemann

Rüdiger Kohl
Ein Beitrag von Rüdiger Kohl, Evangelischer Pfarrer, Frankfurt-Bockenheim

Worte sind wie Schall und Rauch. Sagen manche Menschen. Andere sind sich der Macht des Wortes bewusst. In der Bibel wird der Macht des Wortes sehr viel zugetraut. Da steht zum Beispiel im Buch der Sprüche: „Die Worte mancher Leute sind wie Messerstiche; die Worte weiser Menschen bringen Heilung.“

Heute ist der Todestag eines Menschen, der sein Leben lang auf die Macht des Wortes vertraut hat. Als Politiker. Als Mensch, der nicht nur selbst redete, sondern auch die Worte Andersdenkender respektierte. Die Rede ist von Philipp Heinrich Scheidemann. Man kennt ihn als den sozialdemokratischen Politiker, der 1918 auf einem Balkon des Reichstages in Berlin die Republik ausrief und eine große Rede hielt. Seine Heimatstadt war Kassel, wo er Oberbürgermeister war. Heute vor 75 Jahren starb Philipp Scheidemann.

Eine besondere Seite von Philipp Scheidemann war seine Frohnatur, seine humorvolle Art, die seinen Worten oft eine besondere Würze verliehen hat. Er konnte nicht nur staatstragende Reden halten. Im Kasseler Tageblatt veröffentlichte er unter dem Pseudonym Henner Piffendeckel auch „Mundartliche Geschichderchen“. Außerdem publizierte er mehrere Bücher in Kasseler Mundart. An diese Seite Scheidemanns erinnert der Henner-Piffendeckel-Platz in der Kasseler Nordstadt.

Bestimmt war es für ihn nicht immer einfach, den Humor zu behalten. Als Politiker hatte er viele Feinde. Viele setzten nicht auf Worte, sondern trachteten ihm nach dem Leben. Nach der Machtergreifung der Nazis wurde der Politiker  zur Flucht ins Ausland genötigt. Doch auch schon vorher war er Angriffen ausgesetzt. Als er an einem Sonntag im Kasseler Bergpark mit seiner Tochter und seiner Enkelin spazieren ging, traten zwei Männer auf ihn zu und schütteten ihm Blausäure ins Gesicht. Er überlebte, und die Täter wurden gefasst.  Scheidemann hatte die Größe, sich für die Begnadigung der Männer einzusetzen. In einem offenen Brief wandte er sich sogar humorvoll an all seine potenziellen zukünftigen Attentäter:

„An die hochverehrten Herren Mörder, die die Welt von mir Scheusal befreien wollen, habe ich nur einige bescheidene Bitten, die ich zu berücksichtigen bitte.

Beim Stechen bitte ich mir nicht an den Hals zu kommen, weil ich da zu kitzelig bin. Da die Zigarren sehr knapp sind, bitte ich auch von Stechversuchen auf die linke Brustseite abzusehen, weil ich da meine Zigarrentasche trage. Meine hochverehrten Mörder bitte ich ferner, meine Kleidung nicht zu durchlöchern,  denn ich habe noch keinen Bezugsschein für einen neuen Anzug. Zu besonderem Dank würden mich meine Herren Attentäter verpflichten, wenn sie mich immer einen Tag vor meinen Tode benachrichtigen wollten, damit ich jedes Mal mit meinen Freunden einen Abschiedsschoppen stechen kann.“

Aus diesen Worten spricht nicht nur ein feiner Sinn für Humor. Sondern auch Weisheit. Denn Philipp Scheidemann war sich der Macht seiner Worte bewusst. Er wusste: Worte sind nicht nur Schall und Rauch. Worte können versöhnen oder spalten. Worte können Leben schaffen und Leben zerstören. Sind wie Messerstiche oder können heilen.

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