Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir
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Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir

Ein Beitrag von Frank Fornacon, Pastor evangelische Freikirche

Morgens – der Wecker klingelt, aber es ist noch Zeit. Das Bett ist warm. Keine Lust aufzustehen. Noch eine Weile still daliegen. Jetzt ist es Zeit, an Gott zu denken. „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“ So heißt es in einem Psalm. Gott hüllt mich ein, wärmt und schenkt Zuversicht: Was kann mir passieren, wenn Gott an meiner Seite ist? Aber irgendwann musst du aufstehen. Der Tag fordert sein Recht. Die Arbeit ruft, die Kinder müssen zur Schule, der Arzttermin wartet (welcher Arzt?). Es ist bald Gottesdienst. Gott sieht mich, wenn ich mich aufraffe, ins Bad gehe, in der Küche die Kaffeemaschine anstelle. Jeden Tag kommt mit der Zeitung der Alltag auf den Tisch. Die großen Fragen und die vermeintlich großen Themen. Der Streit der Nachbarn und die Krise in Afrika. Ist auch dort Gott der tröstende Gott?

Szenenwechsel. Ein Mann auf dem Weg zur Arbeit. Der Bus kommt zu spät. Die Ampel scheint kaputt zu sein. Es wird und wird nicht grün.  Sind heute nur Sonntagsfahrer unterwegs? Im Büro wartet der unerledigte Stapel Emails im Postfach. Wie soll er das alles nur schaffen? Sieht Gott denn nicht, dass ihm das alles zu viel wird? Der Kunde, der zum dritten Mal meckert. Beim nächsten Anruf wird er ihm erklären, dass alles in Arbeit sei. Dabei weiß er, dass die Lieferung am Abend garantiert nicht fertig auf dem Weg sein wird. Gott hört, wie er in das Telefon hineinlügt. Gott hört zu und versteht. Im Psalm heißt es: „Es ist kein Wort auf meiner Zunge, dass du, Herr, nicht schon wüsstest.“

Aber vielen ist es ja völlig egal, ob der Bus kommt oder die Ampel auf Dauerrot steht. Auf fast viele in Deutschland wartet kein Schreibtisch Sie haben keinen Spint im Betrieb. Ihre Firma heißt Jobcenter oder Deutsche Rentenversicherung. Ist es schlimmer, von mürrischen Kollegen begrüßt zu werden oder gar keine Kollegen zu haben, weil man arbeitslos ist? Wo immer einer hingeht. Ein Satz des Psalms begleitet ihn: „Ich gehe oder liege, so bist du, Gott, um mich und siehst alle meine Wege“.

Szenenwechsel. Draußen klappern die Briefkästen. Der Zusteller hetzt von Haus zu Haus. Sein Pensum ist in den letzten Jahren um ein Vielfaches gestiegen. Es ist paradox: Immer weniger Leute schreiben Briefe. Um die gleiche Menge Briefe zuzustellen, muss er viel weitere Wege zurücklegen. Die alte Frau hofft: Vielleicht hat die Enkeltochter geschrieben. Ihre Nachbarin bangt: Ob schon wieder eine Mahnung dabei ist, die letzte Mahnung vor der Zwangsvollstreckung? Die Alte müht sich vergeblich zum Briefkasten. Es ist nur die Werbung für die Billigreise in die Türkei. Die Nachbarin geht gar nicht erst hinunter. Die Briefe mit dem amtlichen Stempel macht sie schon gar nicht mehr auf. Und auf die Werbung für den Traumurlaub zum Schnäppchenpreis braucht sie kein Auge zu werfen. Das kann sie sich eh nicht leisten.  Gott lässt die beiden nicht allein. Sollte sich Gott für die Einsamkeit der Frau im zweiten Stock interessieren? Sorgt er sich um die Zukunft der jungen Frau, die keine Ahnung hat, wie sie ihre Schulden je loswerden soll?

Er geht mit und lässt den Verzweifelten nicht allein. So hoffnungslos die Lage. Er ist da. Gott verzichtet auf hämische Kommentare. Über seine Lippen kommt niemals der Satz: „Das habe ich dir ja schon immer gesagt“. Er denkt sich nicht sein Teil. Er ist einfach nur da. Er hat nicht gut reden. Gott teilt unsere Ratlosigkeit und Angst. Gott trägt mit an unseren Sorgen. Unser Problem ist sein Problem. Damit ist noch kein Problem gelöst. Aber es erleichtert und tröstet zu wissen: Von allen Seiten umgibt mich Gott und hält seine Hand über mir.

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