Ihr Suchbegriff
Holstenglacis
Bildquelle pixabay

Holstenglacis

Ein Beitrag von Frank Fornacon, Pastor evangelische Freikirche

An einem 10. November wie heute, im Jahr 1943 starben vier Männer im Hamburger Gefängnis am Holstenglacis unter dem Fallbeil. Im Abstand von vier Minuten verloren sie ihr Leben. Ihr Blut mischte sich unter dem Schafott. Das Blut von vier Christen, die für ihren Glauben starben. Alle vier waren Geistliche. Drei arbeiteten als Kapläne an der katholischen Kirche in Lübeck, einer war evangelischer Pfarrer in der Nachbarschaft. Ihr Verbrechen: Sie hatten den Bombenangriff auf Lübeck als Strafe Gottes gedeutet. Einige hundert Menschen fanden den Tod. 15.000 waren über Nacht obdachlos geworden. Der evangelische Pastor Stelllbrink predigte am Tag nach dem Angriff: „Gott hat mit mächtiger Sprache geredet. Die Lübecker werden wieder lernen zu beten.“

In ihren Predigten nahmen sie kein Blatt vor dem Mund. Spitzel in den Kirchenbänken lieferten sie den Schergen der Nazis aus. Der Volksgerichtshof verurteilte sie wegen: „Wehrkraftzersetzung, Heimtücke, Feindbegünstigung und Abhören von Feindsendern“. Alles todeswürdige Verbrechen in den Augen der Nationalsozialisten. Wer aussprach, dass sich die Deutschen unter Hitler schuldig machten und dass die Zerstörung Lübecks ein Zeichen für das Gericht Gottes sein könnte, musste um sein Leben fürchten. Man muss Gott mehr gehorchen als den Nazi-Herrenmenschen. So etwas zu sagen, darauf stand die Todesstrafe. Die drei katholischen Geistlichen waren Anfang 30, ihr evangelischer Kollege um die 50. Sie hatten gelernt, im Widerstand gegen die Gewaltherrschaft zusammen zu stehen. Wenn es ums Leben geht, dann spielt es keine Rolle, ob man evangelisch oder katholisch ist.

Einer der vier, Johannes Prassek, schrieb in einem Abschiedsbrief an seinen Bischof: „In mir ist die große Freude der Hoffnung auf Gottes Güte und Erbarmen. Ich denke, dass er, der am Kreuze noch verziehen hat, auch mir gnädig sein wird. Ich sterbe mit tiefem Danke an Gott für alles, Liebes und Leides, was Er mir im Leben geschenkt hat. Ich sterbe in der Liebe und Sorge um unser deutsches Vaterland. Möge Gott es segnen und schützen“.

Die Lübecker Märtyrer sahen ihren Dienst am Vaterland nicht in der Wehrmacht. Sie erinnerten an die Verantwortung für Frieden und Gerechtigkeit. Sie trösteten die Opfer des Krieges. Sie warnten die Verfolgten. Dazu verbreiteten sie heimlich die Predigten des Kardinals von Galen, der die Morde an den Behinderten anprangerte. Sie waren dabei nicht allein. In ihren Gemeinden gab es viele, die sie unterstützten, mit ihnen bangten und sie am Ende nicht vergaßen. Schon während des Krieges begannen die Lübecker, an ihre Geistlichen zu erinnern. Heimlich traf man sich zu Gedenkgottesdiensten. 2011 sprach Papst Benedikt die Katholischen unter ihnen selig.

Einer von ihnen, Eduard Müller, hatte im Gefängnis ein Neues Testament bei sich. Darin hatte er mit Bleistift ein Gebet notiert: „In deiner Kraft, mein Herr und Heiland, nehme ich auf mich das Schwere, das Gott mir zugedacht. Mit dir schaue ich zum Vater im Himmel: Dein Wille geschehe. Dein Wille geschehe in mir und durch mich. – Ich vertraue fest, dass nur alles aus deiner Liebe kommt. Mein Herz ist bereit, o Gott, ich bin bereit. Gib mir deine Kraft, zu überwinden und zu bestehen.“

Als ich selbst in Hamburg studierte, waren die schrecklichen Zeiten der Naziherrschaft schon lange vorbei. Die Erinnerung an die vier Märtyrer war aber noch sehr lebendig. Ich lernte Zeitzeugen kennen, die aus eigener Anschauung wussten, was die vier Geistlichen durchgemacht hatten. Deren Mut beeindruckte mich Theologiestudenten sehr. Ihr Leben hatte Bedeutung weit über ihren Tod hinaus.

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren