Freiheit ist nicht nur Autonomie
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Freiheit ist nicht nur Autonomie

Dr. Anke Spory
Ein Beitrag von Dr. Anke Spory, Evangelische Pfarrerin, Bad Homburg-Gonzenheim

Bei uns zu Hause fällt von meinen Kindern immer mal der Satz: Wenn ich mal groß bin, dann darf ich alles allein bestimmen! In ihren Worten heißt das: Dann bin ich selbstständig, dann bin ich frei, über mich selbst zu entscheiden. Autonom zu werden von den Eltern, das ist ein wichtiger Entwicklungsschritt für Kinder. Für sich selbst Verantwortung zu übernehmen und eigene Entscheidungen zu treffen sind gute Voraussetzungen, wenn man erwachsen wird.

Für mich ist es aber zu wenig, Freiheit nur in diesem Sinn zu verstehen: als ein Ideal von Autonomie. Das würde ja bedeuten: Jemand ist dann frei, wenn er auf niemanden angewiesen ist. Mir ist das zu eng. Freiheit  ist mehr als: Ich kann alles selbst machen. Manchmal merke ich: Dieses enge Freiheitsverständnis hat sich auch in meinem Denken festgesetzt. Wenn ein bestimmtes Ideal der Autonomie in meinem Kopf ist, Nämlich: Ich bin nur frei, wenn ich noch alle seine Sinne gebrauchen kann, sehen kann, hören, riechen, schmecken und fühlen. Und Herr oder Herrin eines klaren Verstandes bin.

Dann gehe ich zum Beispiel in das Pflegeheim unserer Gemeinde gehe, um dort Gottesdienst zu feiern. Und frage ich mich dann: Was davon bekommen die alten Menschen überhaupt noch mit? Und mir schießt mir der Gedanke durch den Kopf: Wenn das alles nicht mehr ist, das ist doch kein Leben mehr. Nur noch auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein.

Es  gibt dann zwei Momente, die mir meine enge Sicht klar vor Augen führen: Nirgendwo sonst kann ich mich so sehr darauf verlassen, das Vater unser nicht alleine zu sprechen. Diese alten, diese zum Teil verwirrten und gebrechlichen Menschen sprechen das Vater unser mit einer Kraft, die mich beeindruckt. Der zweite Moment kommt, wenn ich mich durch Händeschütteln von jedem Besucher verabschiede. Dann sehe ich in strahlende Augen. Da merke ich: Wir sind verbunden, wir schauen uns an, wir freuen uns, dass wir uns begegnet sind. Das sind doch Momente, wo das Leben gut ist!.

Freiheit nur als Autonomie zu verstehen ist fatal. Gerade deshalb finde ich es gut, welche Überschrift die Evangelische Kirche in Deutschland gefunden hat, als sie im letzten Jahr eine Orientierungshilfe zum Thema Familie veröffentlicht hat. Sie heißt: Familie - Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Autonomie ist der eine wichtige Pol. Aber autonom zu werden und zu sein, kann nicht das einzige Ziel im Leben sein. Menschen sind immer wieder aufeinander angewiesen. Das ist kein Makel, sondern gehört zum menschlichen Leben dazu. Die Freiheit, alles allein zu schaffen, ist weder von allen Menschen gewünscht, noch für alle zu verwirklichen. Alle Menschen sind in bestimmten Phasen ihres Lebens mehr oder weniger auf andere angewiesen. Die Säuglinge, die Kinder, aber auch Erwachsene und Alte. Und auch wenn sie nicht immer autonom sind- sie können doch frei sein. Und denen ganz viel zurück geben, die an ihrer Seite sind.

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