Kriegsbeginn
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Kriegsbeginn

Ein Beitrag von Frank Fornacon, Pastor evangelische Freikirche

Der Zweite Weltkrieg begann heute vor fünfundsiebzig Jahren mit einer Lüge: Seit heute Morgen wird zurückgeschossen. Aber das war nichts als Propaganda. Der Großdeutsche Rundfunk verbreitete Gräuelgeschichten von der Roten Armee. Russen waren Untermenschen, von denen man nichts Gutes zu erwarten hatte. So sollten die Soldaten ihre Skrupel verlieren. Das hat auch weitgehend funktioniert. Im Osten hauste die Wehrmacht grausig.

Ein junger Mann aus Kassel war damals dabei. Was hatte man ihm nicht alles über die Feinde erzählt, denen er den Garaus machen sollte. Als sich das Blatt wendete und die Rote Armee von Sieg zu Sieg eilte, fürchtete er sich nur noch vor der Rache. Er hat den Krieg überlebt und davon in Kasseler Schulen erzählt. Von den letzten drei Tagen, bevor der Krieg für ihn zu Ende ging, Damals war er zwanzig. Zum Beispiel hat ihn eine neunte Klasse eingeladen, weil sie eine Klassenreise vorbereitete zu den Gräberfeldern des zweiten Weltkrieges.

Der heute Neunzigjährige erzählt: In diesen drei letzten Kriegstagen hat sich alles konzentriert: die Brutalität, das Leid, die Verzweiflung und am Ende neue Hoffnung. Er berichtet, wie die Russen mit zwanzigfacher Übermacht angriffen und sich die Front auflöste. Jeder Soldat sollte sein Pferd erschießen, damit es nicht dem Feind in die Hände fiel. „Ich konnte doch meinen treusten Kamerad, das Pferd. nicht erschießen“, aber die Befehle waren unerbittlich. Bald wurde klar, dass Widerstand zwecklos war. Die Kampfgruppe hat Gewehre und Granaten in den nahen Fluss geworfen. Dann haben sie in einem Bombentrichter auf den Feind gewartet. Mit der Aussicht auf Gefangennahme oder Tod.

Die Russen waren gnädig und ließen den müden Soldaten das Leben. Aber sie nahmen ihnen zunächst alle Wertsachen ab. Etwas besonders Wertvolles hatte der junge Soldat aufgehoben. Schokolade. Die wollte er den Russen schenken, wenn sie ihm das Leben ließen. Seine Kameraden hatten alle Vorräte aufgegessen. Er hatte zwar Hunger, aber bewahrte die eiserne Ration auf und gab sie einem Russen. Der steckte die Schokolade ein und führte dann die Gefangenen hinter die eigenen Linien. Der alte Mann erinnert sich heute: „Ich hatte schon seit Tagen gebetet, dass wir doch von freundlichen Russen gefangen genommen werden.“

Auf dem Weg in die Gefangenschaft ritt der Soldat, der die Schokolade eingesteckt hatte, neben dem Deutschen her. Die Kalaschnikow schussbereit. Nach Stunden öffnete er seine Satteltasche. Brot und Speck waren darin. Die gab er seinem ausgehungerten Gefangenen. „Ich habe selten so gierig gegessen wie auf diesem Weg. Und während ich dieses Brot aß, wurde mir klar, dass all die Propaganda Lüge war: Der Hass hat nicht das letzte Wort. So richtig habe ich das erst viel später verstanden. Aber es war der erste Moment, als ich begriffen habe: Man kann sich selbst mit seinem Feind versöhnen.

Die Jungen und Mädchen der neunten Klasse haben die Geschichte des alten Mannes gehört. Sie selbst können sich kaum vorstellen, was Krieg bedeutet. Aber am Ende der Stunde haben sie geahnt, dass trotz allem Versöhnung möglich ist.

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