Prag spielt Klavier

Prag spielt Klavier

Charlotte von Winterfeld
Ein Beitrag von Charlotte von Winterfeld, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt

Wenn Passanten in Prag mitten im Straßenlärm innehalten, dann hat das oft mit Musik zu tun. Zum Beispiel erklingt Beethovens „Für Elise“, wenn man gerade auf dem großen Prager Friedensplatz in die Straßenbahn steigt. Die Töne kommen von einem Klavier, das an eine Parkbank angekettet ist.

Zwölf Klaviere sind in Prag an öffentlichen Orten aufgestellt. Zum Beispiel im Foyer des Hauptbahnhofs, am Treppenaufgang zur Philosophischen Fakultät oder auf dem Flughafen im Transitbereich. Hinter der Idee steckt der 35-jährige Café-Besitzer Ondej Kobza. Er sagt: „Plötzlich war es so, als würde die Straße nicht mehr den Autos und dem Stress gehören, sondern uns. Die Klaviere sollen mit ihrem Klang die Leute dazu bringen, nicht einfach durch den Tag zu trotten.“

Und so sitzen auf einem Platz zwei Jugendliche und greifen in die Tasten. Vorbeilaufende bleiben stehen oder lassen sich auf den Bänken daneben nieder. Danach setzt sich ein kleines Mädchen ans Klavier und klimpert unbekümmert drauf los. Wenig später versucht sich ein Obdachloser mit einem Song von Michael Jackson.

Egal, wo sich die Klaviere befinden, selten bleiben sie länger als zehn Minuten unbespielt. Vor einigen Monaten hat sogar ein tschechischer Polizist in Uniform auf einem der Klaviere gespielt und es damit auf dem Videoportal Youtube auf fast eine Million Klicks gebracht. Beinahe liebevoll kümmern sich Anwohner und Fußgänger um die Klaviere und bedecken die Instrumente bei Regen mit einer Plane.

Inzwischen macht die Idee Schule. Seit April steht ein weißes Piano im Terminal 1 im Frankfurter Flughafen. Fraport hat es aufgestellt. Jeder darf darauf spielen. Öffentliche Klaviere für eine Stadt. Es gibt sicher lukrativere Investitionen, als alte Klaviere aufzubauen und kostenlos x-beliebige Menschen auf ihnen spielen zu lassen. Eine verrückte Idee. Unvernünftig und ohne wirklichen Nutzen. Keine Steigerung des Bruttosozialprodukts. Kein Heilmittel gegen Armut, Arbeitslosigkeit oder Krankheit.

Und doch finde ich die Idee genial. Sie stiftet Gemeinschaft unter Wildfremden. Und ist ganz im Sinn von Jesus. Der hat nämlich auch nicht nur Kranke geheilt und Sinnvolles getan. Bei seinem ersten Wunder zum Beispiel zeigt sich Jesus als Weinliebhaber. Bei einer Hochzeit verwandelt er Wasser in Wein und rettet so die gute Laune der Hochzeitsgesellschaft. Wein bei einer Hochzeit ist ähnlich überflüssig wie Klaviermusik auf der Straße. Kraft und Geld kann man besser einsetzen. Und trotzdem ist es gut, wenn das Leben mehr ist als zweckmäßig und praktisch. Ich bin jedenfalls froh, dass das erste Wunder von Jesus nicht ein ernstes und notwendiges war, sondern ein fröhliches und überflüssiges. Das heißt nämlich, dass Gott auch mir Überfluss und Fülle gönnt und mir mehr gibt, als ich brauche. Ein bisschen Luxus braucht der Mensch. Gott weiß das.

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