Gut und Böse

Gut und Böse

Dr. Ulf Häbel
Ein Beitrag von Dr. Ulf Häbel, Evangelischer Pfarrer, Laubach-Freienseen

"Was man dir Gutes getan hat, das meißle in Stein. Was man dir Böses zugefügt, das schreib in den Sand, dass es der Wind verweht." Diesen Spruch habe ich auf einem Kalenderblatt gelesen. Und ich habe ihn in einem Gottesdienst zitiert. Hinterher hat mich jemand darauf angesprochen. Er fragte mich, ob ich den Satz nicht falsch herum zitiert hätte. Die Realität im Leben wäre doch anders. Das Böse würde doch viel schneller verbreitet als das Gute. Wenn man die Leute reden hört, die wissen viel davon zu erzählen, was andere angestellt oder Böses getan haben. Es gibt sogar Leute, die geradezu auf der Lauer liegen, um andere beim Bösen zu erwischen.

Damit wäre mein schöner Satz vom Guten, das man in Stein meißeln, und vom Bösen, das der Wind verwehen soll, widerlegt. Doch ich will den Spruch nicht so schnell preisgeben. Vielleicht beschreibt er nicht die Realität; aber er beschreibt eine Haltung, die dem Leben gut tut. Das Gute, das dir widerfahren ist, das schreibe auf, das sage weiter, so dass andere es hören. Vielleicht lassen sie sich anstecken, auch vom Guten zu reden oder es zu tun. Das Gute meißle in Stein

Auf einer Nordseeinsel, die ich häufig mit Jugendlichen besucht habe, stehen auf dem Deich zwei Gestalten in Stein gehauen. Es sind Deichwächter. Zu ihren Füßen ist eine Steinplatte, auf der steht, dass sie in Unwetter und Sturm manchem schiffbrüchigen Menschen geholfen und das Leben gerettet haben. Das steht da in Stein gemeißelt, und das spült auch kein Hochwasser weg.

Das Böse, das schreib in den Sand, dass es der Wind verweht. Das habe ich auf dieser Insel auch einmal mit den Jugendlichen erlebt. Es gab in der Freizeit viel Zank und Streit. Die Stimmung war schlecht und jeder hat auf jedem herumgehackt. Da haben wir ein Spiel am Strand gemacht. Jeder konnte in den Sand schreiben, was ihn aufgeregt oder geärgert hat. Kevin ist doof; Anne lügt; Günter klaut und so weiter. Da stand alles im Sand – manchmal mit einer hässlichen Grimasse dazu. Als wir am nächsten Tag wieder am Strand waren, war alles weg. Die Flut hatte in der Nacht alles mitgenommen; der Wind hat den Rest verweht. Eigentlich wäre das gut so, hat ein Jugendlicher gemeint: Das Böse ist weggespült.  Da ist Platz für etwas Neues und Gutes.

Es gibt freilich auch Ereignisse im Leben, die man nicht so einfach wegspülen und vom Wind verwehen lassen kann – Böses, das geschehen ist und das man nicht vergessen darf: Krieg oder Völkermord, Verfolgung anderer Menschen, weil sie anders sind oder anders glauben. Das kann man nicht in den Sand schreiben. Da muss man die Klage führen.

In der Bibel ist diese Erfahrung überliefert – in sogenannten Klagepsalmen aufgeschrieben. Einer fängt so an: "Aus der Tiefe rufe ich, Gott, zu dir; höre meine Stimme." Doch in der Klage über das Böse, das Menschen widerfuhr, hört man leise die Stimme der Hoffnung, dass Gott sie nicht ganz verlässt. Am Ende heißt es: "Bei dir ist die Gnade."

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