Hauskonzert
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Hauskonzert

Dr. Ursula Schoen
Ein Beitrag von Dr. Ursula Schoen, Prodekanin, Evangelisches Stadtdekanat Frankfurt

Worte schaffen Wirklichkeit. Die Bibel behauptet das für das göttliche Wort. Am Anfang spricht Gott: Es werde Licht! - Und es ward Licht. Aber auch menschliche Worte schaffen Wirklichkeit. Das gilt für große Worte wie das “JA” vor dem Traualtar. Oder wenn man etwas feierlich verspricht wie die Paten, die am Taufbecken zusagen, ein Kind zu begleiten.

Auch kleine und ganz unscheinbare Worte können etwas in Gang setzen, können Neues entstehen lassen.  Das habe ich als junge Theologiestudentin in Israel erlebt. Mit großem Elan war ich dorthin aufgebrochen, um einige Monate in Jerusalem zu studieren. Jerusalem, Nazareth, Bethlehem – ich hatte diese Orte innerlich schon in Besitz genommen. Jüdische Feste und Traditionen, die Geschichte Israels und die besondere Verpflichtung Deutschlands dort. Alles schien mir bekannt und irgendwie vertraut.

Als ich dort ankam, merkte ich sehr schnell, eigentlich verstehe ich gar nichts.  Alles war viel fremder, als ich mir das von Deutschland aus vorgestellt hatte. Und der Graben viel tiefer, den ich als junge Deutsche überwinden musste. Nur langsam lernte ich mich in Ivrit auszudrücken, das ist  die moderne Form des Hebräischen. Ich brauchte  Mut, die ersten Schritte in dieser Sprache zu wagen.

Ich wohnte als Untermieterin bei einer Richterfamilie. Ich wusste: Der alte Herr war Mitte der dreißiger Jahre nach Israel gekommen. Er selbst hat nie darüber gesprochen. Er verriet mir auch nicht, dass er meine Muttersprache konnte. Er wartete geduldig meine stotternde Rede auf Hebräisch ab. Eines Tages kam er und lud mich zu einem Abend in ihre Wohnung ein. Auf Hebräisch nannte er Zeit und Anlass. Ich habe nicht verstanden, was er meinte. Da antwortete er plötzlich mit einem deutschen Wort:  „Hauskonzert.“

„Hauskonzert“ - ich habe dieses deutsche Wort einige Zeit mit mir herumgetragen. Es war mehr, als nur die trockene Informationen zu übermitteln: Ich will, dass du dann und dann deswegen kommst. In diesem Wort leuchtete sehr viel mehr auf.

Es war wie ein winziger Hinweis auf etwas, was uns verband. Mit dem Wort hat dieser Mann gewagt, eine Brücke zwischen uns zu schlagen. Und ganz zart erschien darin auch ein größerer Horizont. An diesem Horizont stand: Versöhnung – Neubeginn. Das Wort „Hauskonzert“ war für mich wie das Angebot meines Gastgebers, in diesen Horizont einzutreten. Das hat  mich tief gerührt.

Erst viel später habe ich von seiner Frau erfahren, dass ihr Mann es auch so beschrieben hatte. Für ihn hat  viel bedeutet, dass ich bereit war, seine Sprache zu lernen und mich ganz fehlerhaft darin auszudrücken. Das hat  ihm den Weg zu mir, der Deutschen, geöffnet. Es hat ihm einen zaghaften Schritt zur Versöhnung ermöglicht.

Seitdem traue ich meinen Worten mehr zu – nicht nur den großen, sondern vor allem den kleinen, den zaghaften und fehlerhaften, den unsicheren und suchenden. Denn durch sie, so habe ich erlebt, kann Neues wachsen.

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