Modern Times

Modern Times

Ein Beitrag von Gisela Brackert, Journalistin und Autorin im Ruhestand, evangelisch, Frankfurt

Eine meiner Freundinnen hat die Angewohnheit, ihre Mails mit LG zu schließen. LG zwei Buchstaben. Groß geschrieben. Es soll bedeuten: Liebe Grüße. Aber es bringt mich jedes Mal auf die Palme. Wenn die Liebe nicht mal ausreicht, um diese paar Buchstaben auszuschreiben, kann sie mir gestohlen bleiben, denke ich. Denn bei Mails gibt es keinen Grund für diese Sprachverstümmelung. Die hat von den Smartphones aus ihren Siegeszug angetreten.

Wo maximal 160 Zeichen für eine Mitteilung zur Verfügung stehen und das Bedürfnis, sich mitzuteilen, unersättlich ist – ungläubig hörte ich neulich, dass die Teenies von heute es locker auf 350 sms pro Tag bringen – wo also soviel Daumenarbeit auf kleinster Fläche anfällt, da muss man sich die Sache vereinfachen. KP kein Problem. ILD Ich liebe Dich. bb bis bald. DaM Denk am mich. Wd wieder da. eb echt blöd.

Wen wundert es da noch, dass die Rechtschreibkenntnisse zunehmend verwildern? Lehrer und Arbeitgeber regen sich darüber auf. Die Kids rührt das wenig: das muss man doch gar nicht mehr selber wissen. Dafür gibt’s auf meinem Rechner doch Rechtschreibprogramme. So wie man ja auch die Straßen in seinem Viertel nicht mehr kennen muss. Wenn da mal eine Auskunft notwendig ist, schlägt man doch auch keinen Stadtplan mehr auf, sondern fragt das Navi. Und wenn jemand mitten in der Wüste wissen will, wie hoch der Eifelturm ist – blitzschnell ist die Lösung da:

324 m. Was ich sagen will ist: die Verfügbarkeit von Wissen hat sich enorm verändert. Die junge Generation trägt es in der Hosentasche oder im Handtäschchen mit sich. Ein Klick und die Daten sind da, eingebettet in eine Fülle erklärender und kommentierender Zusatzangebote. Ganze Vorlesungen lassen sich so abrufen. Ganze Predigten auch. Wissen ist kein Monopol mehr, es wird über das Netz, über Bloggs und Tweeds und die sozialen Netzwerke unaufhörlich geteilt und weitergegeben. Das hat Auswirkungen auf alle Bereiche, in denen ein bisher exklusives Wissen die Autorität begründete.

Am Horizont taucht eine radikal veränderte Welt auf, in der sich alle Institutionen neu erfinden müssen. Auch die Kirchen. Die Kanzel, von der aus die Predigt auf eine stumm da sitzende Gemeinde herunterfällt, wird nicht mehr der Ort sein, zu dem meine Enkel gläubig aufschauen. Sie ist es ja kaum noch für deren Eltern. Denn das ist eine der bittersten Erkenntnisse der neuen Mitgliedschafts-Studie der Evangelischen Kirche: Das religiöse Gespräch – es findet in der Familie kaum noch statt. Das ist ein Traditionsabbruch von grundsätzlicher Bedeutung für Kirche und Gemeinde.

Wohin ist es ausgewandert, das Christusbekenntnis, das Fragen nach Gott? In die Hauskreise? Das sind private Zirkel außerhalb der Ortsgemeinde, die sehr lebendig sind. In die Medien? In Fernsehgottesdienste und zahllose Diskussionsforen? Oder hat die religiöse Rede ihren neuen Ort vor allem im Internet gefunden? In sehr persönlichen Bloggs oder in W-Lan Gottesdiensten, die von den Teilnehmern über Tweets und Fotos mitgestaltet werden. Da wird noch viel experimentiert: Ein junger Laienprediger aus dem Odenwald lud vor einiger Zeit die Internetgemeinde zum virtuellen Abendmahl vor dem eigenen Bildschirm ein. Aufstand der Theologen!

Doch der Wind der Veränderung macht vor unseren etablierten Kirchen nicht halt. Er weht wo er will. Und sein himmlischer Zwilling, der Heilige Geist, nimmt sich dieses Recht auch.

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