Schmetterlingstango - Leben mit einem totgeborenen Kind

Schmetterlingstango - Leben mit einem totgeborenen Kind

Charlotte von Winterfeld
Ein Beitrag von Charlotte von Winterfeld, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt

Georg war zum ersten Mal Vater geworden. Es war ein Mädchen. Sie hieß Juliane und war wunderschön. Aber leider hat sie nicht geschrien, geatmet hat sie auch nicht. 9 Monate ist sie im Bauch seiner Frau gewachsen, sie hatte sich prima entwickelt. Aber als die Wehen begannen und im Krankenhaus die Untersuchungen liefen, konnten die Ärzte keinen Herzschlag mehr feststellen. Juliane kam tot auf die Welt.

Um das zu verarbeiten, hat Georg ein Buch geschrieben. Es heißt Schmetterlingstango. Worte sind Georgs Metier, er ist Schriftsteller. Er beschreibt ehrlich seine Gefühle. Er beschreibt auch die Beziehung zu seiner Tochter, die da ist, auch wenn sie nie wirklich gelebt hat. Georg und seine Frau stellen sich viele Fragen:  Dürfen sie sich überhaupt Vater und Mutter nennen, oder zählt das nicht? Wie kommen wir an eine Sterbeurkunde, wenn es keine Geburtsurkunde gibt? Vielleicht übertreiben wir mit unserer Trauer?

„Warum hat dein Kind rote Lippen?“ fragt ein kleines Mädchen, als sie zu Besuch kommt und das Foto von Juliane anschaut. Und sie sagt weiter: „Ihr seid traurig, dass sie nicht bei euch ist.“ Georg ist erleichtert. Es geht ihm besser, wenn jemand über Juliane redet. Dann spürt er stärker, dass sie wirklich da war. Und immer zu ihm gehören wird.

Georg stellt sich vor, dass Juliane besonders eigensinnig ist. Schon bei den Ultraschall-Terminen, bei denen die 3-D-Fotos gemacht werden sollten, war sie rebellisch: Sie zeigte sich von der falschen Seite oder hielt die Hand vors Gesicht. Und auch jetzt nach der Geburt: Sie schreit nicht und verzieht keine Miene. Sie tut eben nicht das, was man erwartet. Das ist Georg sympathisch. Auch er tut nicht immer das, was andere von ihm erwarten.

Georg redet oft mit Juliane und schreibt Briefe an sie: „Bekommst du, wo du gerade bist, genug zu essen?“ In seiner Phantasie mag Juliane Heidelbeermarmelade genauso gern wie er selbst.

Natürlich macht sich Georg auch Gedanken über Gott. Er schreibt, dass er Gott nicht versteht und dass Gott brutal gehandelt hat. Dafür müsste er eigentlich lebenslang hinter Gitter. Aber Gott tröstet ihn irgendwie auch. Gott versucht erst gar nicht zu erklären, warum das so gekommen ist. Georg schreibt sein ganz persönliches Glaubensbekenntnis. Darin kommen Sätze vor wie: „Ich glaube an Jesus. Er war Kind, wie ich Kind war. Er hatte keine Kinder. In seiner Nähe hat Juliane keinen Kummer.“ Und: „Ich glaube, dass das Leben ewig ist und dass Juliane Hunger hat wie ich.“ Georgs Glaubenssätze haben mich sehr beeindruckt. Sie sind kindlich und doch von großer Tiefe. Georg hält die Hoffnung aufrecht mitten in der tiefsten Traurigkeit.

Auf einer Karte mit einem Schmetterling gibt er die Geburt und den Tod seiner Tochter bekannt. Da steht etwas von großem Schmerz. Da steht aber auch der Satz: „Sie hat uns auf dem Weg ins Himmelreich überholt.“

Georg Magirius, Schmetterlingstango – Leben mit einem totgeborenen Kind, 2013

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