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Heilige Taufe und Geschichten vom Missbrauch eines Sakraments

Heilige Taufe und Geschichten vom Missbrauch eines Sakraments

Ein Beitrag von Helga Trösken, evangelische Pfarrerin im Ruhestand, Frankfurt am Main

„Der See als Taufbecken“, so lautete die Schlagzeile einer Zeitung über dem Bericht von siebenundvierzig Taufen im Langener Waldsee. Ähnliche Schlagzeilen gab es auch an anderen Orten, wo viele Menschen an ungewöhnlichen Orten getauft wurden, zum Beispiel: „Segen mit Hamburger Elbwasser für über zweihundert Kinder“. Oder: „Fünfundsiebzig Taufen mit tausend Gästen im Bergpark Kassel – Wilhelmshöhe“ und vor ein paar Tagen: Sechsundsechzig Taufen im Darmstädter Woog.

Von immer mehr Taufevents wird berichtet: In großen Kirchen, in Seen, aber auch in einer Ostseebucht oder am Nordseestrand. Überall werden Tauffeste veranstaltet, die erstaunlich viele Menschen anziehen. Manchmal bemühen sich Gemeinden, die Tradition und das Außergewöhnliche zu verbinden, indem sie Gottesdienst in der Kirche feiern und anschließend zum Dorfbrunnen vor der Kirche ziehen, wo dann getauft wird. Oder es gibt Pilgerwege zu Quellen. Beliebt ist auch, in der Osternacht zur Taufe einzuladen. In Israel werden schon lange Taufen in Yardenit vollzogen, dem Ort, an dem der Jordan den See Genezareth verlässt. Im Jordan hatte sich Jesus selbst von Johannes taufen lassen. Im Lauf der letzten Jahre sind Hunderte von Pilgern und Pilgerinnen aus aller Welt in den Jordan gestiegen, mit weißen Gewändern bekleidet und haben sich taufen lassen. Oft zum zweiten Mal, als Wieder – Taufe. Eine einträgliche Touristenattraktion.

Tauftraditionen wandeln sich zurzeit rasant. Man kann sogar sagen: Die Heilige Taufe ist ein Sakrament im Wandel. Ich wurde noch zu Hause getauft. Wir haben eine Taufschale, die seit mehr als hundert Jahren in der Familie vererbt wurde wie auch die Taufdecke, in die die Namen aller in der Schale getauften eingestickt sind. Das Taufkleid, über 150 Jahre alt, ist zwar immer wieder ausgebessert worden, aber es wird in Ehren gehalten und zumindest bei den heutigen Taufen vorgezeigt.

Haustaufen gibt es in der evangelischen Kirche seit Jahrzehnten nicht mehr. Sie wurden untersagt, weil zur Taufe die Öffentlichkeit einer Kirchengemeinde gehört, wird doch mit der Taufe die Zugehörigkeit zur Kirche begründet. Erst in den letzten Jahren wurde die private Feier wieder wichtiger. Deshalb wird nun auch diskutiert, was Taufe soll, wann und wo sie stattfindet, wie sie gefeiert wird.

Musik: Morgenlicht leuchtet (Gälisches Volkslied, Arr. John Rutter), Rundfunkchor Berlin unter Simon Halsey

Tauffeste als Events an öffentlichen Orten sind beliebt. Zu diesen Tauffesten mit vielen Täuflingen an ungewöhnlichen Orten melden Menschen sich und ihre Kinder an, die nie in eine Kirche gekommen wären. Zwei Gründe sind es vor allem: Viele haben keine traditionelle Familie mit Vater, Mutter, Kind, bei der die Eltern verheiratet sind. Sie leben allein erziehend oder in Patchwork-Familien. Manche befürchten, in der Kirche, in einer gleichsam geschlossenen Gemeinde nicht willkommen zu sein. Zum anderen: Taufe gilt als teures Fest, wenn sie als traditionelles Familienfest mit allen Verwandten gefeiert wird. Das können sich viele nicht  leisten.

So wurden die Tauffeste erfunden. Knappes Geld und die Familienkonstellation dürfen kein Hindernis für die Taufe sein.

Die Nachfrage ist überall sehr groß. Spötter mögen sagen: Kein Wunder, wenn es kostenlos zu essen und zu trinken gibt! Inzwischen wird die Zahl der Täuflinge bei Tauffesten an ungewöhnlichen Orten überall begrenzt, nicht aus finanziellen Gründen, sondern weil man keine Massentaufen will. Bei der Taufe geht es um Einzelne. Jede und jeder soll persönlich erfahren: „Fürchte dich nicht. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen“. Keine Massenabfertigung, stattdessen sorgfältige Vorbereitung in der Gemeinde, in der die Menschen wohnen. Mit Taufgespräch und Auswahl der Paten und Patinnen, Vorbereitung der Täuflinge ihrem Alter und Verstehen entsprechend, wie bei den traditionellen Taufen.

Auch die Form der Taufe wird abgesprochen, weil sie individuell vollzogen werden soll. Man hat die Wahl: Durch Benetzen der Stirn, ganz traditionell, oder durch Eintauchen des Kopfes, Untertauchen wie in den orthodoxen Kirchen oder Übergießen des ganzen Körpers mit Wasser. Es gibt Taufstationen mit Taufschalen oder eben den „See als Taufbecken“. Die Täuflinge sind dann zwar klatschnass, aber sie scheinen glücklich.

Doch gegen die Taufevents, diese Tauffeste an ungewöhnlichen Orten gibt es Einwände und Widerstand. Auch ich sehe diese Entwicklung eher kritisch. Ich fürchte, eine Spur neuer kirchlicher Folklore kommt da auf .Das Sakrament wird entwertet, der Sinn geht baden. Die Schau wird wichtiger als die Taufe. Ich sehe auch die Gefahr, dass es Taufen erster und zweiter Klasse geben könnte: Die Taufen besonderer Art und die gewöhnlichen Taufen im Gemeindegottesdienst. Damit würde unter der Hand der Gemeindegottesdienst abgewertet.

Mir ist wichtig, dass der sogenannte Taufbefehl aus dem Matthäusevangelium sorgfältig bedacht wird für jede Zeit neu und gerade bei uns, wenn die Taufpraxis sich vielleicht dem Zeitgeist wieder einmal anzupassen scheint. So heißt der Taufbefehl im Neuen Testament:

 „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden.
Darum geht hin und macht zu Jüngern und Jüngerinnen alle Völker:
Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes
und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.
Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung der Welt“.

(Matthäus 28, 18-20)

Bei jeder Taufe wird der Taufbefehl verlesen, die Begründung des Sakraments durch Jesus Christus selbst. Er hat diese Worte nach seiner Auferstehung gesagt. Doch gerade dieser Befehl wurde im Lauf der Geschichte missverstanden und ausgelegt mit grauenhaften Folgen. Davon soll nach der Musik die Rede sein.

Musik: Johann Sebastian Bach, Präludium C-Dur (Maria Todtenhaupt, Harfe)

„Geht hin und macht zu Jüngern und Jüngerinnen alle Völker“, hat Jesus nach dem Matthäusevangelium gesagt. Das ist in der Vergangenheit vielfach missverstanden worden. In diesem Jahr 2014 wird auch an Kaiser Karl den Großen erinnert, der vor 1200 Jahren gestorben ist. Von ihm wird überliefert, er habe schon als kleiner Junge an der Hand seines Vaters dem Papst in Rom versprochen, er werde einmal für die Ausbreitung des Christentums sorgen.

Später, als König der Franken und in Rom gekrönter Kaiser wird er dieses Versprechen wahr machen. Er führt Kriege quer durch den europäischen Kontinent, allein dreißig Jahre gegen die heidnischen Sachsen. Wobei „Sachsen“ sehr viele verschiedene Völker und Stämme waren. Die Reichsannalen von 775 vermerken, dass der Krieg gegen die Sachsen so lange andauern werde, bis sie sich dem christlichen Glauben unterworfen hätten oder ausgerottet seien. Taufe oder Tod, das war die Parole.

Neuste Geschichtsforschung ist sich einig, dass Karls Kriegführung nicht gegen die militärische Bedrohung an den Grenzen seines Reiches gerichtet war, sondern allein der Missionierung, der Christianisierung diente. Massentaufen, meist unter Zwang waren an der Tagesordnung. Und wenn die Getauften dennoch an ihren alten Göttern hängen blieben, wurde schon mal ein blutiges Exempel zur Abschreckung veranstaltet. In Verden an der Aller zum Beispiel, wo mehr als viertausend Menschen hingerichtet wurden. Diese Racheorgie, das „Blutgericht von Verden“ trägt Karl den Namen „Sachsenschlächter“ ein.

Das Verbrechen von Verden bricht den Widerstand des Sachsenfürsten Widukind. Er lässt sich taufen, und Karl fungiert als Pate. Diese Taufe wird als göttliches Wunder verstanden. Als wäre Widukind durch Gottes Eingreifen zum Glauben gekommen. Um des Friedens willen lässt er sich taufen. Und Karl erfüllt das Versprechen, das er als kleiner Junge dem Papst gegeben hat: das Christentum zu verbreiten! „Sachsenapostel“ wird es deshalb auch genannt. Übrigens wird Widukind Jahrzehnte später von der römisch-katholischen Kirche in den Heiligenkalender aufgenommen und selig gesprochen.

Wie schwierig die Christianisierung, also auch die Taufe der Heiden in Mitteleuropa war, belegt der Text eines unbekannten Mönches aus der Zeit Karls. Er heißt. „Von der Kunst, aus einem Heiden einen Christen zu machen“.

„Die Heiden haben ihre Götter, ihre Feste, ihr Spiel, ihre Mythen. Sie verehren ihre Götter in der Natur, in tiefen Wäldern, in Hainen, an Bäumen, an Quellen. Einen Holzstamm, aufgestellt zu Ehren des Gottes Irmin, verehren die Sachsen, eine Irminsul, einen Weltbaum, der alles trägt.

Sie tragen Amulette um den Hals, kleine Götterbilder, die sie schützen sollen vor allem Bösen. Sie ziehen Furchen um ihre Dörfer, um Unholde fern zu halten, sie schnitzen Hände und Füße aus Holz als magische Mittel. Sie lassen Hörner tönen, um das Böse fern zu halten.

Wahrsager haben sie, die ihnen ihre Zukunft deuten aus toten Pferden und Vögeln, auch aus Stäben mit eingeritzten Runen, Buch – Staben. Zaubertränke mischen sie. Mit Zaubersprüchen versuchen sie, das Wetter zu ändern. Die Opferbräuche der Heiden haben Kraft. Ihre Bilder kann man sehen, die Bilder aus Holz, Stein, Metall.

Sich taufen lassen, das heißt: Ja sagen zu einem Gott, den man nicht sieht und zu einem Gottessohn, der wie ein Verbrecher am Kreuz starb. Das war nicht leicht für viele Heiden, deshalb fielen auch viele wieder und wieder ins frühere Heidentum zurück“.

(Unbekannte Quelle, zitiert bei J. Leinweber, St.Bonifatius, 1983)

Musik: John Cage, Six Melodies (Lee Santa, Laute und Hille Perl, Gambe)

Karl der Große hatte den Taufbefehl Jesu ernst genommen: „Macht zu Jüngern und Jüngerinnen alle Völker!“ Das wollte er auch politisch erreichen. Unzählige Missionare haben Gleiches getan. Sie sind dem Wort gefolgt: „Gehet hin in alle Welt, lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe und taufet sie“. Diese Missionare wollten sicher Gutes, haben aber oft viel Unheil und Unglück über Menschen gebracht. Fremde Völker und Menschen wurden als wilde, rohe Heidenkinder betrachtet, die bekehrt und zivilisiert  werden mussten. Mit der Taufe stülpte man ihnen die angeblich christliche Kultur über, weil nur so der Glaube gelebt werden konnte.

Das betraf Kleidung und Frisuren ebenso wie das Verständnis von Ehe und Familie. Es kam sogar dazu, dass die Sklaverei mit der Bibel begründet wurde. Außerdem wurden Interessen vermischt, wenn Missionare oft Wirtschaftsleuten folgten. Die hatten vor allem Interesse an der Ausbeutung der Bodenschätze und verstanden sich als überlegene Vertreter ihrer Regierungen. Weiße Kolonialherren bestimmten die Politik. So wurde die Taufe pervertiert – in Afrika und Asien, in Lateinamerika und am Nordpol. Schließlich diente der Name Jesu dazu, Eroberungskriege zu rechtfertigen.

Taufe oder Tod, das galt über Jahrhunderte auch für Juden und Jüdinnen, wann immer sie verfolgt wurden und vertrieben werden sollten. Millionen blieben standhaft bei ihrem Glauben und wurden ermordet, nicht erst während der Shoa. „Taufet“, das hieß dann: Foltern, quälen, unter Druck setzen, um angeblich Seelen zu retten.

Diese schreckliche Geschichte des Christentums darf nicht verschwiegen oder verdrängt werden, wenn wir die Taufe heute als Sakrament wieder entdecken wollen. Da ist nichts schön zu reden. Dennoch stimmt auch das andere: Die Taufe ist sichtbares Zeichen für die Gemeinschaft mit Gott. Und diese gilt über alle Grenzen. Gott nimmt Menschen gleichberechtigt an als seine Kinder, in bunter Vielfalt, jeden und jede einzeln. Damit gehören sie zur Gemeinschaft der Glaubenden in aller Welt.

Musik: Lars Trier, Christian Sievert, Recuerdo (aus dem Album The Bird in the Oak)

Was gibt oder nützt die Taufe? Diese Frage aus Martin Luthers Kleinem Katechismus stellen vermutlich die meisten, die sich mit dem Gedanken befassen, ein Kind oder sich selber taufen zu lassen, egal ob in traditioneller Form oder an einem besonderen Ort in besonderer Form.

Mir ist eine Tauffamilie in guter Erinnerung, wo diese Frage ziemliche Konflikte verursacht hatte. Die Großmutter war fest davon überzeugt: Ohne Taufe ist das Kind nicht geschützt. So lange es nicht getauft ist, ist es Unglück und Gefahren besonders ausgesetzt. Sie setzte die Eltern so unter Druck, dass diese sich gegen ihre eigene Überzeugung zur Taufe entschlossen. Sie wollten eigentlich mit der Taufe warten, bis das Kind zumindest verstehen könnte, was da geschieht oder besser noch: sich selber entscheiden würde.

Was also gibt oder nützt die Taufe? Als zuständige Pfarrerin habe ich den Eltern gesagt: Die Taufe ist in dem Sinn keine Lebensversicherung, dass wir ohne Leid leben könnten. Sie ist nicht wie eine Schluckimpfung, die immun macht gegen Unfall, Unglück oder Krankheiten. Sie ist kein Airbag, der im rechten Moment aufgeht und Leben rettet. Da hat die Großmutter das Wort Jesu missverstanden:

„Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden. Ich bin bei euch bis zur Vollendung der Welt“. Die Taufe ist die Zusage, das Versprechen, dass nichts uns trennen kann von Gottes Liebe, auch nicht der Tod. Eine Zusage für das Leben mit Höhen und Tiefen an guten und bösen Tagen. Das begleitende Zeichen: Etwas Wasser, dreimal geschöpft, im Namen des Vaters, des Sohnes, des heiligen Geistes, ist ein Symbol. Wasser ist die Quelle allen Lebens. Wasser ist lebensnotwendig und nützlich. Es hat aber auch Kraft und kann gefährlich werden. Martin Luther schreibt zur Taufe mit Wasser:

 „Wasser tut’s freilich nicht, sondern das Wort Gottes, das mit und bei dem Wasser ist, und der Glaube, der solchem Worte Gottes im Wasser traut“.

Die Taufe gilt in allen christlichen Kirchen als Sakrament. Das heißt: sie ist sichtbares Zeichen und sichtbare Handlung für die unsichtbare Wirklichkeit Gottes. Wir haben nur den Namen unseres Gottes und müssen vertrauen, dass er sich in Jesus Christus als Mensch und Liebe unter uns gezeigt und bewiesen hat.

Schließlich schenkt die Taufe, dass ein Kind, dass eine Frau oder ein Mann zur christlichen Gemeinde gehört, einer Gemeinschaft, die über die Zerbrechlichkeit menschlicher Beziehungen hinausreicht. Dieses Geschenk lässt sich feiern in kleiner oder großer Familie, gewiß in einem traditionellen Gottesdienst,  manchmal auch an besonderen Orten. Ein Fundament, das tragfähig bleibt „bis zur Vollendung der Welt“.

Musik: Helmut Michael Brand, Wir glauben all an einen Gott (Ev. Gesangbuch 183)

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