Abdanken will gelernt sein

Abdanken will gelernt sein

Ein Beitrag von Helwig Wegner-Nord, Evangelischer Pfarrer, Frankfurt

Wenn ich es mir recht überlege, kenne ich zwei Sorten älterer Menschen. Die einen klagen übers Älterwerden und über das Ende ihrer bisherigen Möglichkeiten wie ein ungerechtes Schicksal. Oft werden sie nicht mehr da gebraucht, wo sie bisher gerade ihre Erfüllung gefunden hatten. Darum verklären sie die vergangenen Jahre und das, was sie selbst vor Jahrzehnten alles geleistet haben. Und ich kenne die anderen. Die entwickeln im Alter eine Offenheit und Gelassenheit, die ihnen vorher, in jüngeren Jahren, immer schwer gefallen ist. Sie haben offensichtlich einen anderen Blick auf das, was gewesen ist. Und öffnen sich damit für eine neue Rolle.

Wie kommt es eigentlich, dass den einen gelingt, woran die anderen scheitern? Ich glaube: Das, was es zu lernen gilt, ist das, was wir mit einem sehr schönen deutschen Wort „abdanken“ nennen. Also etwas hinter sich zu lassen, auch eigene Bedeutung und Macht abzugeben, in Frieden, freiwillig und auch dankbar. Und danach gespannt darauf zu schauen, was auf mich wartet.

Wie sich das anfühlt, ist mir neulich klar geworden. Ich hatte eine Menge theologischer Bücher aus meinem Regal  aussortiert, in die ich ohnehin schon länger nicht mehr reingeschaut hatte. Ich wollte sie einer Theologiestudentin schenken. Sie nimmt Buch für Buch in die Hand, schaut sich Autor und Titel an und legt sie wieder zurück. „Weißt Du“, sagt sie dann, „ehrlich gesagt, damit kann ich überhaupt nichts anfangen. Die meisten Bücher stammen aus deiner Studienzeit und sind zum Teil Jahre davor erschienen. Das ist jetzt so lange her, die sind alle überholt!“

Natürlich: in der Theologie (wie auch in anderen Fächern) ist fleißig weiter gearbeitet worden, es gibt eine Fülle neuer Bücher, selbst die Klassiker kommen nur als gründlich überarbeitete Neuauflagen auf den Markt. So wie mit den Büchern ist es aber auch mit anderem: Was mir ganz wichtig war im bisherigen Leben, muss den Generationen meiner Kinder und Enkel darum noch lange nicht wichtig sein. Da gibt es sozusagen längst recht ordentliche Neuauflagen, gedankliche, politische Neuauflagen mit klugen Einsichten und großen Perspektiven.

Wenn man älter wird, gilt es, sich in einer neuen Disziplin, einer neuen Herausforderung zu üben: dem Loslassen und dem Verabschieden. So wie alte Bücher in die Tonne wandern, kann ich auch anderes dankbar und befreit über Bord werfen – vor allem aber die Ansicht, dass die Nachkommen und Nachfolger dazu da sind, uns fortzusetzen.

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