Wie weit muss ich barmherziger Samariter sein?
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Wie weit muss ich barmherziger Samariter sein?

Martin Vorländer
Ein Beitrag von Martin Vorländer, Evangelischer Pfarrer und Senderbeauftragter für den DLF, Frankfurt

Gehetzt auf dem Weg zur Arbeit. Ein voller Tag liegt vor mir, und ich habe noch nicht gefrühstückt. Schlechte Startvoraussetzungen. Im Vorbeilaufen sehe ich, wie eine junge Frau versucht, einer alten Dame auf die Beine zu helfen. So richtig klappt das nicht.

Kurzes Zögern in mir: Eigentlich habe ich keine Zeit. Na gut. „Kann ich helfen?“, frage ich und hebe den Gehstock der alten Dame auf. Sie hat verdreckte Kleidung, wirre Haare und ist in Hausschuhen unterwegs. „Ja, bitte, bitte“, sagt die Dame und krallt sich meine Hand. „Ich muss los!“, sagt die junge Frau, lächelt mir zu und ist verschwunden.

Nun habe ich die alte Dame am Arm. „Bitte, bitte, helfen Sie mir nur ein Stück.“ Wir schleppen uns den Gehsteig entlang. „Wollen Sie sich auf die Bank setzen?“, versuche ich. „Nein, bitte, bitte, nur ein Stück. Ich habe Hunger und will in die Bäckerei. Sie sind ein guter Mensch!“ Ihre Hand schließt sich noch fester um meinen Arm.

In unserem Tempo werden wir noch ewig bis zur Bäckerei brauchen. Endlos geht das nicht. Wir gehen noch ein Stück weiter, dann taucht auf dem Weg eine Bank auf. „Hier können Sie sich setzen“, sage ich. „Bis hierhin kann ich Sie begleiten.“ Die Frau protestiert, aber schließlich setzt sie sich.

Allein gehe ich zur Bäckerei. Ich kaufe mir etwas und noch ein belegtes Brötchen extra. Damit gehe ich zur Bank zurück. Die alte Dame ist noch da und hält Ausschau. „Bitteschön, hier ist ein belegtes Brötchen für Sie“, sage ich zu ihr. Sie lässt die Papiertüte mit dem Brötchen in ihre Jackentasche gleiten. Ganz zufrieden ist sie nicht. Sie hätte am liebsten, dass ich bei ihr bleibe.

Das kann ich nicht. Ich verabschiede mich. War das richtig? Ich fand das immer einen Clou an der biblischen Geschichte vom barmherzigen Samariter: Er sieht einen Verletzten im Straßengraben und leistet erste Hilfe. Er bringt ihn in die nächste Herberge. Dem Wirt gibt er Geld, damit der ihn versorgen kann. Der Samariter selbst bleibt nicht da, sondern geht seinem Tagwerk nach. Jesus nennt das barmherzig.

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