
Erst die Unterbrechung lässt mich zu mir selber finden
Bei den 10 Geboten aus dem Alten Testament gibt es eine ganze Reihe von Vorschriften, die nicht nur Juden und Christen akzeptieren: Du sollst nicht töten zum Beispiel. Oder: Du sollst nicht stehlen oder lügen – da nicken auch die mit dem Kopf, die sonst nicht viel mit der Bibel zu tun haben wollen. Es gibt aber ein Gebot, das ist ein bisschen überraschend, und in kaum einer anderen Religion findet sich etwas Ähnliches. Das schützt nicht Hab und Gut oder mein Leben, sondern den wöchentlichen Ruhetag: „Du sollst den Feiertag heiligen.“
Es scheint nötig zu sein, dass die Menschen die Pause verordnet bekommen, die arbeitsfreie Zeit. Sonst würden wir wahrscheinlich einfach immer weiter arbeiten. Würden wir? Wenn wir ehrlich sind, tun wir es tatsächlich oft genug. Nicht nur die, deren Arbeit dem Wohl aller dient, also das Klinikpersonal oder die Lokomotivführer oder Polizisten. Durcharbeiten tun oft auch die anderen. Die eigentlich gar nicht müssen, nehmen Arbeit übers Wochenende mit nach Hause und sind auch am Sonntag online erreichbar.
Dass das dritte Gebot den Feiertag anordnet und dadurch das Arbeiten unterbricht, das hat seinen Grund nicht nur darin, dass Menschen Zeit für die Religion haben sollen und zum Gottesdienst gehen können. Nein: die Unterbrechung selbst hat schon etwas Heilsames, etwas Religiöses. So zumindest hat es der katholische Theologe Jean Baptist Metz mal formuliert: Die kürzeste Definition von Religion sei ‚Unterbrechung‘. Das gefällt mir.
Denn erst wenn der Alltag mit seiner Arbeit und Mühe unterbrochen wird, und zwar regelmäßig, dann kann ich in Ruhe darüber nachdenken, wohin ich unterwegs bin, ob sich mein Ziel lohnt. Oder ob ich überhaupt eins habe. Ich kann meinen Hoffnungen nachspüren und meiner Liebe. Oder mich auch einstimmen lassen in das Gefühl der Dankbarkeit. Die Unterbrechung lässt mich zu mir selbst finden.
Die Chance, die die wöchentliche Unterbrechung bietet, liegt auch in der jährlichen Urlaubszeit. Jetzt in den Sommermonaten fahren dreiviertel aller Deutschen an einen anderen Ort, um Ferien zu machen. Warum eigentlich an einen anderen Ort? Wenn es auch nicht weit weg ist - dieser Ortswechsel, der Abstand zum Alltagsort ist die Unterbrechung, die dabei helfen kann, klarer zu sehen, worin das Leben einen Halt hat.