Unglaubliche Geschichten

Unglaubliche Geschichten

Dr. Peter Kristen
Ein Beitrag von Dr. Peter Kristen, Evangelischer Pfarrer und Studienleiter, Religionspädagogisches Institut Darmstadt

Rita war traurig. Sie kam zu mir als Schulseelsorger, weil sie gerade in der neuen Schule Freundinnen gefunden hatte – und jetzt wollen die plötzlich nichts mehr von ihr wissen. Die Freundinnen sagen: „Die lügt ja sowieso. Rita erzählt Geschichten, die nicht stimmen können, nur um sich interessant zu machen. Mit so jemandem will man nicht befreundet sein“.

Rita erzählt mir, dass ihre Geschichte aber stimmte: Ihr Vater ist wirklich mit ihrem kleinen Bruder nach New York geflogen, und dort war ihr kleiner Bruder im Kinderwagen verlorengegangen. Rita hatte sich große Sorgen gemacht. Statt ihr beizustehen, haben ihre Freundinnen nur gelästert und sie ausgeschlossen. Zum Glück war ihr Bruder inzwischen wohlbehalten wieder gefunden, aber über ihre Freundinnen war sie immer noch traurig.

Rita und ich haben dann mit der Klassenlehrerin gesprochen und die Geschichte von ihrem Bruder in New York der ganzen Klasse erzählt. Wir haben niemanden angeklagt. Wir haben nur davon erzählt, dass scheinbar ganz unglaubliche Geschichten manchmal nicht gelogen sind, und dass man ihre Wahrheit oft nicht erkennen kann, weil man zu wenig für wahr und wirklich hält. Manche in der Klasse haben betroffen geguckt. Die meisten haben sich dann mit Rita darüber gefreut, dass sie ihre Sorgen los war.

In der Pause habe ich mit der Klassenlehrerin noch eine ganze Weile über unglaubliche Geschichten geredet. Es passiert ja häufig, dass man von Sachen hört, die die Vorstellungskraft übersteigen. Manchmal ist es ja auch gut, misstrauisch zu sein. Bevor man all das einfach von sich weist, so wie Ritas Freundinnen, kann man es ja mal so probieren: Interesse zeigen, neugierig sein, sich Hilfe holen, die Fakten prüfen und einmal annehmen: Da gibt es vielleicht wirklich mehr, als ich jetzt schon weiß.

So ist es auch mit biblischen Geschichten. Ihre Wahrheit lässt sich nicht beweisen, sie erzählen aber von einer Wirklichkeit, die da ist, auch wenn uns das manchmal ganz und gar unglaublich erscheint.

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