Der erste Satz Deutsch

Der erste Satz Deutsch

Dr. Peter Kristen
Ein Beitrag von Dr. Peter Kristen, Evangelischer Pfarrer und Studienleiter, Religionspädagogisches Institut Darmstadt

Meine Kollegin Ute hatte mit ihrem Mann im Gießener Stadttheater das Stück „Ab heute heißt du Sarah“ gesehen. Die eindringliche Geschichte von einem jüdischen Flüchtlingsmädchen im Dritten Reich und den stillen Helden, die ihr geholfen haben.Sie sagt: „Das hat uns noch einmal ganz neu die bedrückende Situation von Flüchtlingen vor Augen geführt, damals und heute“.

Auf dem Heimweg haben sie dann spontan einen jungen Mann im Auto mitgenommen, Imad. Wie sich herausgestellt hat, ein Flüchtling aus Syrien. Auf Französisch klappte die Verständigung ganz gut, und weil er den beiden sympathisch war,  haben sie ihn in ihre Familie zum Essen eingeladen.

Da saß nun ein paar Tage später ein Zwanzigjähriger aus Damaskus zwischen ihren etwa gleichaltrigen Söhnen. Imad war in Gießen,weil seine Familie für die Flucht des Jüngsten alles Geld zusammengekratzt hatte. Wenigstens er sollte in Deutschland in Sicherheit sein.

In Syrien sei jetzt alles „fini“, alles am Ende, erzählt Imad, niemand arbeitet mehr oder geht zur Schule. Das mit der Sprache ist schwer, sagt er auf Französisch. Er spricht kaum Englisch und Französisch sprechen hier nur wenige. Jetzt will er schnell Deutsch lernen.

Ute schlägt vor, ihm ein Wörterbuch arabisch/deutsch zu besorgen und im Gespräch am Tisch entsteht die Idee, es ihm in sein momentanes Zuhause zu bringen. Er wohnt in einer ehemaligen Kaserne in Gießen, die jetzt „Erstaufnahmeeinrichtung“ heißt. Mit ihrem Mann hat sie das gemacht.

Sie geben ihre Ausweise am Tor ab und bekommen ein Papier, auf dem „Besucherausweis“ steht. Damit können sie Imad in seinem „Hühnerstall“ besuchen. Er hat das gesagt: „Wir leben hier wie die Hühner“, gar nicht klagend. Im Gegenteil, er ist froh, ein Dach über dem Kopf zu haben und freut sich, sogar ein Taschengeld zu bekommen.

Beim Abschied bedankt sich Imad für diesen „extraordinären“ Besuch, wie er sagt. Stolz erzählt er, dass er auch schon ohne das Wörterbuch seinen ersten Satz auf Deutsch kennt: Wie viel kostet das? „Da kommt ein Flüchtling aus Syrien nach Deutschland“, sagt Ute, „und das erste, was er lernt, ist; „Wie viel kostet das?“ Inzwischen ist Imad nach Heppenheim verlegt worden. Ich wünsche mir, dass er dort auf genauso engagierte Menschen trifft wie Ute, die ihm noch viele andere Worte in Deutsch beibringen. Wie wär’s mit „Willkommen“?

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