Wie wir mit Skandalen umgehen

Wie wir mit Skandalen umgehen

Christoph Wildfang
Ein Beitrag von Christoph Wildfang, Evangelischer Pfarrer, Arnoldshain

Nun hat Christian Wulff vom Landgericht Hannover einen Freispruch 1. Klasse. Das war ein weiter steiniger Weg. Auch wenn er freigesprochen ist: seine politische Existenz scheint vernichtet. Da gibt es kein Happy End für den Ex-Bundespräsidenten. Viele Menschen haben diesen Skandal - und andere - auch mit Häme begleitet. Manchmal entdecke ich auch beim mir zutiefst verborgen solche hochnäsige Lust am Leiden anderer.

Ex-Bundespräsident Christian Wulff kann aufatmen. Was ihm vorgeworfen wurde, hatte vor Gericht keinen Bestand. Er ist nicht mangels Beweisen freigesprochen, sondern weil da juristisch nichts war. Auf Fotos lächelt er und es gibt auch die ersten Reaktionen. Ein richtiges Happy End ist es nicht. Er hatte das höchste Staatsamt und hat‘s verloren. Wie ist das mit dem Getratsche und Gehechel, wenn´s um einen geht, der im Rampenlicht steht? Diese schöne junge Frau, dieses Tattoo, Parties, Sylt, Feste, Freundschaften mit reichen Leuten. Otto Normalverbraucher konnte doch da nur neidisch sein. Und wie gerne haben so viele geglaubt, was dann da immer lauter getuschelt wurde. Irgendwas wird schon dran sein, sagt man.

In mir regt sich Widerstand. Was war das für ein Piranhaeffekt: ein Tropfen Blut im Wasser und die Raubfische kommen angeschossen. Nicht nur bei Wulff. Ich denke auch an Alice Schwarzer, Ulli Hoeneß und andere, die grad dran sind. Es gibt Tatsachenbehauptungen, Vermutungen, Gerüchte, eine Cyberjagd im Internet – eine richtige Inszenierungslogik von Skandalen. Und: ich entdecke leider auch bei mir solche Jagdgefühle, wenn´s um die da oben geht. Habe ich etwa auch in mir Lust am Leiden anderer Menschen?  Beim Bundespräsidenten waren viele schnell dabei: der muss doch ein Vorbild sein, wenigstens der sollte makellos sein.

Was ist das für eine hochnäsige Haltung. Ist das menschliche Wesen vielleicht grundsätzlich verlogen und schadenfroh? Was ist mit meinem Getratsche, mit meiner Wollust beim Lesen und Zuhören, wenn über andere hergezogen wird? „Soll doch der den ersten Stein werfen, der ohne Sünde ist,1“ hat Jesus einmal trocken gesagt, als alle eine vermeintlich unmoralische Frau steinigen wollen. Und ich werde das dumme Gefühl nicht los, dass er auch mich gemeint hat. Nein, ich will mir vornehmen, nicht mit den Piranhas auszuschwärmen und mit den Bluthunden mitzurennen. Ich möchte lieber über mich selbst nachdenken. Lust am Leiden anderer steckt vielleicht in uns Menschen drin, aber sie ist zugleich billig und unmenschlich.  Wie die Neid und Schadenfreude. Das Gegenteil von Vergebung, die  - nicht nur ich -  oft viel lieber für mich in Anspruch nehme, als sie anderen zu gewähren.

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