Der Pranger in Alsfeld
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Der Pranger in Alsfeld

Christoph Wildfang
Ein Beitrag von Christoph Wildfang, Evangelischer Pfarrer, Arnoldshain

Alsfeld ist schön. Alte Fachwerkhäuser. Laute Krähen am Abendhimmel. Ich schlendere in aller Ruhe durch die hübsche Altstadt. Wenn Mauern und Gewölbe sprechen könnten, dann würden sie in Alsfeld viel erzählen.  Ich stehe am Weinhaus  von 1538, links vom Rathaus. Hans von Frankfurt hat es gebaut. Es war das städtische Weinlager.  Am Weinhaus ist ein Pranger. Für die Touristen oder aus geschichtlichem Interesse haben sie an der Ecke des alten Gebäudes einen verschließbaren Eisenring angebracht, wie es dort im Mittelalter für die Verletzter von mittelalterlichen Regeln  tatsächlich in Gebrauch war.

Früher wurden da die Regelverletzer ans Haus angeschlossen. Mit dem Hals eben, wie mit einem Halsband, nur aus Metall. Und andere kamen und haben den Wehrlosen dann geärgert, gepiekst, gekniffen, geschlagen. Lächerlich gemacht. Später lese ich in einem Heft für Touristen, dass der arme Mensch im Pranger meistens angespuckt wurde. Er hat auf einem kleinen Trittstein stehend gezappelt und gebettelt, aber er musste das aushalten. Was für ein ekliger Gedanke. Heute gibt es hier bei uns keine Halsbänder aus Metall mehr, die einem Verurteilten umgelegt werden, damit er öffentlich gedemütigt wird.

Da gibt’s doch heute ganz andere Methoden. Die meisten gibt‘s im Internet. Da kann man jemandem schon die Hölle heiß machen. Ich habe schon von Selbstmorden gelesen, wenn einer die Demütigung nicht mehr ausgehalten hat. Der Pranger in  Alsfeld ist nicht der Einzige. Ähnliches habe ich schon mal in Gelnhausen gesehen und noch irgendwo. Wie es dem armen Menschen wohl danach gegangen ist? Fertig gemacht, ehrlos und wehrlos? „Der werfe den ersten Stein, der ohne Sünde ist,“ sagt Jesusi als viele Männer eine Frau fertig machen wollen. Sie ist eh schon vorverurteilt, von der Mehrheit moralisch verdammt.

Ich schaue auf meine Hand, auf den Zeigefinger. Es ist leicht, auf andere zu zeigen. Aber wenn ich das tue, zeigen doch drei Finger auf mich. Der Alsfelder Pranger macht mich nachdenklich. Wie leicht geht einem etwas Schlechtes über die Lippen. Wie leicht ist es zu schweigen, wenn über jemanden, der nicht da ist, gelästert wird. Wie billig ist es, wegzuschauen oder mit den Wölfen zu heulen. Ich schaue auf meine drei Finger, die auf mich zeigen.

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