Bildquelle Pixabay

Wissen, wer ich bin

Ein Beitrag von Dieter Dersch, Evangelischer Pfarrer, Kassel

„Ich glaube, ich schaffe das nicht.“ Vor mir sitzt eine junge Frau. Sie wirkt in sich gesunken und mutlos. Dabei hatte ich sie sonst immer stark und selbstbewusst wahrgenommen. Doch nun sagt sie mir: „Mein Selbstbewusstsein ist völlig im Eimer“. Es ist ein schlimmes Gefühl, wenn man plötzlich nicht mehr weiß, wer man selbst ist. Und es verunsichert, wenn andere etwas anderes in mir sehen als ich selbst. Manchmal kenne ich das auch von mir. „Wer bin ich?“, frage ich mich dann. Da sagen andere von mir, wie sie mich sehen und wofür sie mich bewundern, wie stark ich sei und was sie mir zutrauen.

Aber in mir sieht es ganz anders aus. Ich kenne meine Zweifel und Schwächen. Ich weiß, was mir schwer fällt und was ich nicht kann. Ich kenne auch meine Fehler, die ich möglichst vor anderen zu verbergen versuche. Aber sie sind da, und das weiß ich nur zu gut. Was wissen andere schon, wie es in mir aussieht?

Wenn andere mich anders sehen als ich mich selbst, bin ich verunsichert. Ich frage mich: Wer bin ich nun? Bin ich das, was andere von mir sagen oder das, was ich von mir selber weiß? Wie steht es um mein Selbstbewusstsein?

Wer bin ich? fragt Dietrich Bonhoeffer in einem seiner Gedichte. Er schrieb es 1944 im Gefängnis. Äußerlich wirkte er auf andere sicher und stark. In seinem inneren fühlte er aber etwas ganz anderes: Wer bin ich? fragt er. Der oder jener? Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?Bin ich beides zugleich?

Ja, vielleicht bin ich beides zugleich.

Dann sollte ich auch beides ernst nehmen: Meine Stärken, die andere sehen, wie auch meine Schwächen, die ich in mir spüre. Beides gehört zu mir. Das kann mitunter verwirrend sein. Aber wenn ich darum weiß, kann es mein Selbstbewusstsein stärken. Denn sich seiner bewusst sein heißt, sich selbst wahrund ernst zu nehmen mit allen Stärken und Schwächen.

Übrigens finde ich es beruhigend, dass es jemanden gibt, der beide Seiten in mir und in jedem Menschen sehr gut kennt. So schreibt Bonhoeffer: Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!