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Irgendwer wird immer meckern

Irgendwer wird immer meckern

Pia Baumann
Ein Beitrag von Pia Baumann, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt

„Irgendwer wird immer meckern, egal was man auch tut“ So sangen noch die Wise Guys auf ihrem Album „Zwei Welten“. Damit soll jetzt Schluss sein. Nicht mit dem Singen, sondern mit dem Meckern. Zumindest wenn es nach dem norddeutschen Pfarrer Klaus Guhl geht. Er hat die Aktion „Meckerfreie Zone“ ins Leben gerufen. Er sagt: Die Meckerfreie Zone ist ein Spiel. Probiere es aus. Verlieren kannst du nicht. Aber viel gewinnen: Dich selbst! Das Ziel dieses Spiels ist ein besseres Leben. Und eine bessere Welt. Ohne Meckern, ohne Jammern, ohne Klagen. Und das alles nur mit Hilfe eines lila Silikonarmbandes. Die Spielregeln sind einfach: Man nehme das lila Armband und trage es am Arm der Wahl. Rechts oder Links. Und jedes Mal, wenn man sich beim Meckern erwischt, wechselt das Armband das Handgelenk.

Gewonnen hat, wer es schafft, 21 Tage am Stück seinen Alltag zu leben ohne zu meckern, zu jammern, zu klagen oder zu kritisieren. 21 Tage deshalb, weil nach 21 Tagen das menschliche Gehirn an neue Routinen gewöhnt hat. Wer sich beim Meckern erwischt, fängt wieder von vorne an. Über 1000 Armbändchen hat Pfarrer Guhl mittlerweile an den Mann oder die Frau gebracht. Die Idee dazu hat er aus den USA.

Ich finde, es ist eine bestechend einfache Idee. Jeder kann mitmachen. Ich kann das Armband privat zu Hause tragen, mich mit Kollegen im Büro zusammentun oder mich mit einer Gemeindegruppe an dieser Aktion beteiligen. Die Idee scheint so einfach, dass jeder sie sofort versteht. Sie spricht Menschen aller Altersgruppen an. Männer wie Frauen. Jungen wie Mädchen. Vom Kindergottesdienst bis zum Seniorenkreis.

Ein besseres Leben, eine bessere Welt, ohne Meckern, Jammern, Klagen. Ich finde, das klingt erstmal gut. Aber je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Fragen habe ich. Und ich habe mir sagen lassen: 21 Tage am Stück nicht meckern, nicht klagen, das soll gar nicht so einfach sein. Ich kann das gut verstehen!

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21 Tage nicht meckern, jammern, sich beklagen. Das ist nicht einfach. Denn Meckermöglichkeiten gibt es viele, und auch Gründe: Beginnend beim Wetter, dass immer irgendwie zu heiß oder zu kühl, zu nass oder zu trocken ist. Über die Schuhe der eigenen Kinder, die nie, aber auch wirklich nie ihren Weg ins Schuhregal finden. Bis hin zu den Politkern, die wenigstens einmal einen Tag an der Seite von Frau Müller oder Herrn Schulze verbringen sollten. Um zu wissen, wie das Leben wirklich ist.

21 Tage nicht meckern und klagen. Was ist eigentlich so schlimm am Meckern und Beklagen? Tun wir es nicht alle hin und wieder? Und tut das nicht auch gut: sich den ganzen Mist von der Seele zu schimpfen? Eine Freundin von mir behauptet sogar: Wer seinen Ärger immer nur runterschluckt, tut sich keinen Gefallen und wird im schlimmsten Fall sogar krank. Gelegentlich muss man einfach mal Dampf ablassen. Seelenhygiene nennt sie das. Ist also eine Welt, in der nicht gemeckert oder geklagt wird, wirklich eine bessere Welt? Vielleicht wäre es gut, genauer hinzuschauen. Was ist meckern? Was ist klagen? Wann und wie meckern man? Wann und wie klagt man? Gibt es Unterschiede? Oder ist meckern und klagen dasselbe?

Beginnen wir mal mit dem Meckern: Meckern ist etwas Alltägliches und manchmal banal. Ich zum Beispiel kann mich so richtig über schief abgeschnittenes Brot ärgern. Wenn ich morgens in den Brotkasten schaue und dort liegt ein schief und krumm geschnittener Brotlaib, dann meckere ich. Weil es mich stört. Weil es mir nicht gefällt. Weil ich meinen Käse gerne auf eine gerade Scheibe Brot lege möchte. Auch wenn ich zugeben muss, dass es für den Geschmack des Käsebrotes völlig egal ist.

Bei mir ist es das schiefe Brot, bei anderen die Jacke oder die Aktentasche, die immer im Weg rumliegt. Jeder meckert mal. Das berühmteste, gern zitierte Beispiel ist wohl die offen gelassene Zahnpastatube. Jeder meckert mal. Und ganz ehrlich: Ich finde, das darf auch sein. Wer meckert, der möchte schließlich seiner Umwelt etwas mitteilen, was ärgert oder beschwert. Im besten Fall ändert sich dann etwas. Es ändert sich, weil jemand gemeckert hat. Und vermutlich weil es jemand nicht gleichgültig ist, dass ich mich geärgert habe. Dann ist das Brot weniger krumm, und die Jacke hängt öfter mal an der Garderobe.

Klagen aber ist nicht meckern. Es ist nicht einmal sich beklagen. Klagen ist etwas Existenzielles. Klage hat immer etwas mit Trauer zu tun. Wer klagt, erlebt etwas, das das Leben in seinen Grundfesten erschüttert. Mit dem er oder sie allein nicht zurechtkommt. Die Diagnose einer schweren Krankheit. Den Tod eines geliebten Menschen. Den Verlust von Heimat und Sicherheit. Das eigene Sterben.

In solchen Zeiten großer persönlicher Not ist es gut und heilsam, wenn man einen Weg findet, einem Mitmenschen sein Leid zu klagen. Es hilft, sagen zu dürfen, was einen beschwert. Mir jedenfalls hilft es. Auch wenn ich vielleicht an der Situation erst einmal nichts ändern kann. Es hilft zu wissen, dass meine Klage, mein Leid auf offene und mitfühlende Ohren trifft. Der Zuhörer muss nicht einmal aktiv werden. Zuhören hilft schon. Das eigene Leid klagen, das ist Teil des Menschseins.

Und deshalb nimmt die Klage gerade in der Bibel und allen voran im Buch der Psalmen so einen großen und wichtigen Platz ein. Hier bringen Menschen vor Gott, was sie selbst nicht begreifen können. Wo ihnen aber immer noch die Klage bleibt: Sie versinken nicht im eigenen Leid und verdrängen es auch nicht. Sie sagen laut und deutlich: Gott sieh her, das bin ich. So geht es mir. Ich nehme nicht länger nur hin, was mir geschieht. Ich spreche es aus.

Ich glaube, solche Klage ist ein erster Schritt, etwas zu ändern. Und deshalb enden viele dieser Klagepsalmen auch mit einem Lob. Sie nehmen ihre Leser mit auf einen Weg. Öffnen einen neuen Zugang. Erzählen von ihrem Leid, aber auch von einem tiefen Vertrauen auf Gott, der auch in der Not nicht fern ist. Für mich wird die Welt und das Leben also nicht unbedingt besser, wenn wir gar nicht mehr meckern und klagen. Was soll dann die Aktion „meckerfreie Zone?“

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Wie gesagt, für mich gehören Meckern und Klagen zum Leben. Wer meckert oder klagt, ist mit einer Situation nicht zufrieden. Wichtig ist: Er möchte etwas ändern. Was sagt nun Pfarrer Klaus Guhl dazu, der mit der „meckerfreien Zone“? Er wird oft gefragt, ob jeder, der das lila Armband trägt, ab sofort nicht mehr sagen darf, was ihn stört oder worunter er leidet. Er sagt: „Nein. Meckerfrei leben heißt nicht, alles hinnehmen. Keine Kritik mehr üben. Wer zum Kellner sagt: Herr Ober, die Suppe ist kalt, der meckert nicht. Er beschreibt eine Tatsache. Wenn er das mit dem Wunsch nach einer warmen Suppe zum Ausdruck bringt, dann bietet er sogar eine Lösung an.“

So weit Pfarrer Guhl. Was die Aktion „Meckerfreie Zone“ also vermeiden möchte, ist dieses ziellose Meckern und Klagen. Das gar nichts ändert. Das aber wahrscheinlich auch jeder kennt. Und niemanden weiterbringt. Pfarrer Guhl nennt es eine Form der mentalen Umweltverschmutzung. Er sagt: Wer in diesem Sinne meckert, jammert oder klagt, „der verbaut sich durch seine Fokussierung auf das Negative den Weg zu einem erfüllten, von Gott geschenktem Leben.“ Für mich bedeutet das: Ich werde versuchen, nicht länger über schief geschnittenes Brot zu lamentieren. Sondern ich werde in der Bäckerei einfach öfter mal darum bitten, das Brot vorzuschneiden.

Die Aktion „Meckerfreie Zone“ ist ein Denkanstoß. Bei mir hat er gewirkt. Ich nehme für mich mit: Meckern ist nicht gleich Meckern und Klagen nicht gleich Klagen. Es gibt da einen Unterschied. Eine Grenze. Auch wenn die bei jedem anders verlaufen kann. Das Silikonarmband hilft, sich diesen Unterschied klar zu machen. Zu überlegen, ob mein Meckern was ändern kann. Und beim Klagen daran zu denken, dass das Zeit braucht, also Geduld. Und einen Ansprechpartner, der mir zuhört, Mensch oder Gott. Wichtig ist nur sich daran zu erinnern: Wer im Sinne der Aktion meckerfrei lebt, der versucht, das ihm von Gott geschenkte Leben positiv zu gestalten.

Soweit das geht. Denn bei allem sollte man nie vergessen: Die Aktion „Meckerfreie Zone“ ist ein Spiel. Nicht mehr und nicht weniger. Probieren wir es aus. Verlieren können wir nicht. Aber viel gewinnen: Uns selbst! Und da gibt es nun wirklich nichts zu meckern.

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