Unterwegs in die Freiheit

Unterwegs in die Freiheit

Stephan Krebs
Ein Beitrag von Stephan Krebs, Evangelischer Pfarrer, Langen

Unterwegs in die Freiheit – von dieser Reise träumen viele. Ich auch. Denn wie viele erlebe auch ich meinen Alltag als allzu fremdbestimmt. Die Tage sind voller Pflichten und oft genug voller Druck. Da blühen die Träume von einem selbstbestimmten Leben und die Phantasien vom Aussteigen, ja vom Ausbrechen. Eine Frau macht damit wirklich Ernst. Davon erzählt die Sängerin Tracy Chapman in ihrem Lied „Fast Car“.

Musik

Tracy Chapman ist eine afroamerikanische Musikerin. Gerne singt sie über die großen Träume der kleinen Leute. Das tut sie auch in ihrem berühmtesten Popsong „Fast Car“ – also „Schnelles Auto“. Das klingt nach Tempo. Doch wer in dem Lied dynamische Aufbruchstimmung erwartet, wird überrascht. Die Musik ist eher ruhig und dezent, ja fast melancholisch. Sie lässt schon ahnen, dass es mit dem Aufbruch in die Freiheit nicht so ganz einfach wird.

In dem Lied geht es um eine junge Frau aus armen Verhältnissen. Sie lebt in einer trostlosen Situation irgendwo in den langweiligen Weiten der USA. Ihre Mutter hat es dort nicht mehr ausgehalten. Sie ist weggegangen. So kümmert sich die junge Frau alleine um den alkoholkranken Vater. Dafür hat sie die Schule aufgegeben und jobbt in einem kleinen Laden. Das ist aufopferungsvoll. Aber auch ein Schritt in die falsche Richtung. Denn damit rutscht sie weiter ab auf jener gefährlichen Abwärtsspirale, deren Stationen lauten: wenig Bildung, schlechter Job, wenig Geld, schlechte Chancen.

Ein Teufelskreis, dem die junge Frau entkommen will. Doch allein schafft sie das nicht. Oder sie traut es sich nicht zu. Jedenfalls: Ihr Blick fällt auf einen jungen Mann, der ein schnelles Auto hat – für sie das Symbol für den ersehnten Wohlstand und eine Chance wegzukommen.

Musik

„Du hast ein schnelles Auto. Ich brauche eine Fahrkarte nach irgendwo. Vielleicht kommen wir ins Geschäft. Vielleicht können wir zusammen irgendwohin kommen. Überall ist es besser. Wir starten bei Null und haben nichts zu verlieren. Vielleicht machen wir was zusammen. Ich habe nichts zu beweisen.“

Wie so viele Frauen, so erhofft auch sie sich ganz viel von einer Partnerschaft. Den jungen Mann und sein schnelles Auto sieht sie als Fluchthelfer. Sie will weg von zuhause, hinein in die große, verheißungsvolle Stadt. Eigentlich erhofft sie sich dort gar nichts großes, nur ein selbstbestimmtes Leben, in dem nicht schon von vorne herein feststeht, was sie zu tun hat und was aus ihr werden wird. In diesen Traum von der Freiheit investiert sie alles. Dafür wagt sie eine Reise ins Ungewisse. Ganz schön mutig!

Ich frage mich: Woher würde ich die Kraft für einen solchen Aufbruch nehmen? Verzweiflung alleine reicht dafür nicht aus. Ich brauche noch mehr, etwas, das mir Mut macht. Das kann die Bibel tun. Sie erzählt eine großartige Freiheitsgeschichte. Ja, ich behaupte: sie erzählt die Mutter aller Freiheitsgeschichten. Sie handelt von einem Volk, das brutal geknechtet wird: Die Israeliten. Wie Sklaven werden sie in Ägypten ausgebeutet. Sie sehnen sich nach Freiheit. Sie träumen von Flucht. Sie beten für ein anderes Leben. Und Gott erhört sie. Das ganze Volk führt er hinaus aus Ägypten. Sie sind frei. Doch nun liegt vor ihnen ein weiter Weg. Und der führt sie geradewegs in die Wüste. Dort warten Hunger, Durst und Feinde auf sie. Bitter merken sie: Es ist gar nicht so einfach, die Freiheit zu leben. Und das gilt selbst dann, wenn einem Gott zur Seite steht. Mehr als einmal sehnen sich die Israeliten zurück nach Ägypten. Dort waren sie zwar Sklaven gewesen, aber immerhin bekamen sie etwas zu essen und sie hatten ein Dach über dem Kopf.

Ein selbstbestimmtes Leben kann ganz schön mühsam sein. Deshalb landen Menschen manchmal doch wieder dort, wo sie herkamen und wo sie sich auskennen. Obwohl sie doch eigentlich unbedingt weg wollten.

Passiert das auch dem jungen Paar in dem Lied von Tracy Chapman? Die beiden setzen sich tatsächlich zusammen ins Auto und fahren los. Die junge Frau ist überglücklich. Endlich bewegt sich etwas in ihrem Leben. Neben ihr, am Steuer, sitzt der Mann ihrer Träume. Wohlig spürt sie, wie er seinen Arm um sie legt. Für sie ist diese Fahrt wie ein Rausch. Zum ersten Mal spürt sie sich und ihr Leben richtig. Das Auto wird zu dem Ort, in dem ihre Träume wahr werden.

Musik

„Ich weiß noch, wie wir gefahren sind, - gefahren in deinem Wagen. So schnell, dass ich dachte, ich wäre betrunken. Die Lichter der Stadt breiteten sich vor uns aus. Und deine Arme fühlten sich gut an, während sie mein Schultern umschlangen. Und ich hatte das Gefühl, zu jemandem zu gehören. Und ich hatte das Gefühl, ich könnte jemand sein.“

Die beiden kommen in der Stadt an. Ihr Traum wird Alltag. Und das heißt: nicht so einfach. Sie findet einen Job, wenn auch nur als Einpackhilfe im Supermarkt. Er findet gar keinen. Die Zeit vergeht. Die beiden bekommen Kinder. Doch noch immer hat er keinen Job. Sie hat Job - und Kinder. Er geht immer häufiger in irgendwelche Bars. Der Traum bekommt Risse. Tiefe Risse. Wir in unserem gemeinsamen schnellen Auto? – das war einmal. Nun ist es sein Auto, mit dem er immer öfter alleine wegfährt. Und mit dem er sie immer häufiger hinter sich lässt – allein mit den Kindern und allein mit ihrem Traum.

Musik

„Du hast ein schnelles Auto. Ich hab einen Job, der all unsere Rechnungen bezahlt. Du bist weg in der Bar bis spät in der Nacht. Kümmerst dich mehr um deine Freunde als um deine Kinder. Ich habe immer gehofft, dass es besser wird. Dachte, vielleicht zusammen, du und ich, schaffen wir es. Ich hab keine Pläne und ich gehe auch nirgendwo hin. Also steig’ in dein schnelles Auto und fahr einfach weiter.“

Die junge Frau, die nun keine junge Frau mehr ist, ist wieder dort gelandet, wo sie einst aufgebrochen war. Sie hat einen Mann mit Alkohol-Problemen und eine Familie, die allein auf ihren Schultern lastet. Der große Traum – zerschellt in der Realität. Wie kann man das ertragen? Wenn ich in einer solchen Situation bin, dann ringe ich mit Gott, fordere ihn heraus. Klage seine Hilfe ein. Ich lese in der Bibel, bis ich etwas für mich finde: Trost, Ermutigung oder einen Fingerzeig, wie ich weiterkommen könnte. Manchmal braucht man eben Unterstützung von außen, um etwas neu zu machen.

Ob auch die Frau in dem Lied etwas Hilfreiches in der Bibel finden könnte? Zum Beispiel in der Geschichte von den Israeliten auf ihrem Weg in die Freiheit. Denen erging es ganz ähnlich wie ihr. Sie waren Sklaven. Sie waren ausgebrochen, voller Hoffnung auf ihr eigenes, freies Leben. Aber der Weg hatte sie geradewegs in die Wüste geführt. Bitter merken sie: Solange die Freiheit ein Traum ist, ist sie großartig. Doch was ist, wenn der Traum Wirklichkeit wird? Dann ist es gar nicht so einfach, ihn auch wirklich zu leben.

Die Israeliten haben Glück, denn sie haben Gott. Der fordert sie immer wieder heraus. Er tröstet sie und er bringt sie weiter. Deshalb geben die Israeliten nicht auf. Sie lernen: den Weg in die Freiheit legt man nicht nur mit seinen Füssen zurück. Es ist auch ein geistlicher Weg und eine innere persönliche Entwicklung.

Wird das auch die Frau schaffen, von der Tracy Chapman singt? Immerhin: Im Nachhinein hat auch sie verstanden: Es war zu wenig, einfach nur mit einem Mann in seinem schnellen Auto wegzufahren. Muss man mehr tun, wenn man ein selbstbestimmtes Leben führen will. Und nun? Findet sie noch einmal die Kraft zu einem neuen Aufbruch, dieses Mal vielleicht den richtigen? Das bleibt in dem Lied offen.

Musik

„Du hast ein schnelles Auto. Aber ist es auch schnell genug, so dass du allem entkommen kannst? Du musst eine Entscheidung treffen: Entweder haust du heute Abend ab. Oder du lebst und stirbst auf diese Weise.“

Das Lied beschreibt, was viele kennen, die unterwegs in die Freiheit sind. Sie gehen los. Aber irgendwann stellen sie fest, dass sie doch wieder dort gelandet sind, wo sie einmal aufgebrochen waren. Sie haben etwas übersehen: Egal wohin man geht, man nimmt sich selbst überall hin mit. Heißt das, dass das Leben nur ein Teufelskreis ist? Und die Freiheit nur ein unerfüllbarer Traum?

Nein, sagt dazu die Bibel. Dafür erzählt sie die Geschichte von den Israeliten und ihrem Aufbruch aus der Sklaverei. Deshalb erzählt sie so genau, welche Wege in die Freiheit führen und welche nicht. Deshalb erzählt sie auch so ausführlich, dass die Israeliten nicht auf sich alleine gestellt sind. Gott begleitet sie. Er provoziert sie und korrigiert sie. Damit alle wissen: Freiheit ist möglich. Vielleicht nicht schnell und nicht leicht. Vielleicht nicht beim ersten Versuch. Dann eben beim zweiten. Mag die Situation auch hoffnungslos erscheinen. Sie ist es nicht.

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